Seite:Reventlow Werke 0684.png

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

hatte sie nicht schon warten gelernt — auf Gesundheit und auf die Rückkehr zum Leben, aber auf den Tod warten, auf den wirklichen oder den anderen — den Tod bei lebendigem Leibe —, das war eine fürchterliche, verzehrende Geduld, die sie noch zu lernen hatte.


Als der Arzt am nächsten Morgen wiederkam, stand Ellens Entschluß fest, sie wollte nun alles so rasch wie möglich festgesetzt haben. Aber es hieß noch eine Reihe von Tagen warten und sich zur Ruhe zwingen.

Draußen war immer noch Sonnenschein und goldne Tage. Ellen meinte noch nie einen so lichten, strahlenden Herbst gesehen zu haben, es schien ihr fast wie eine gute Vorbedeutung, und mit der Entscheidung kam allmählich eine Art Zuversicht über sie. Manchmal lag sie lange da und betrachtete sich in ihrem Handspiegel — nein, sie sah noch nicht aus wie ein zerstörter Mensch. — Sonnenkind, so nannte Johnny sie — ja, sie hatte eigentlich immer noch ein Kindergesicht, nur etwas schmaler war es geworden, aber keine Leidenszüge.

Am letzten Tage kamen viele von ihren Bekannten mit dem verborgenen Gedanken, sie vielleicht zum letztenmal zu sehen, Schwester Maria fragte, ob sie nicht doch mit einem Geistlichen reden wollte — und dann Johnny — er legte ihr einen Haufen Rosen aufs Bett, seinen Kopf dazu, und Ellen glaubte zu sehen, daß er weinte.

„Aber Johnny,“ sagte sie, „was habt ihr alle? — Tut, als ob ihr mich schon begraben wolltet, und ich denke ja gar nicht daran zu sterben.“

Jetzt, wo es so dicht vor ihr war, fand sie beinah etwas Festliches in der Gefahr und gewann ihre alte Fähigkeit wieder, über alles zu lachen.

Es war ein trüber, grauer Nachmittag, und die ersten Schneeflocken trieben gegen die Fenster, als Ellen aus langer Betäubung wieder erwachte — wie durch einen Nebel sah sie Gesichter um sich her, dann sank sie wieder in den Nebel zurück, und es kam eine lange,

Empfohlene Zitierweise:
Fanny Gräfin zu Reventlow: Ellen Olestjerne. München: Albert Langen, 1925, Seite 684. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reventlow_Werke_0684.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)