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— sie hatte noch nicht entsagt, hatte noch wieder hinaustreiben wollen auf das ruhelose Meer von Hoffnungen und Möglichkeiten. Sie — Ellen Olestjerne — mit ihren dreiundzwanzig Jahren, die mehr vom Leben verlangte wie viele andere, die noch so viel schaffen und gewinnen wollte —, und das sollte nun das Ende sein von allem. — Immer wieder sagte sie es laut vor sich hin: das soll nun das Ende sein. — Und doch war sterben noch nicht das Schlimmste —, wenn sie sich nicht entschließen konnte, den Kampf zu wagen, dann erwartete sie das andere: jahrelanges Siechtum, hatte er gesagt, das bloße Wort war schlimmer wie zehnfacher Tod — sich herumschleppen vom Bett zum Sofa, vielleicht auch einmal bis ans Fenster — mit den ewig bohrenden und zerrenden Schmerzen — nichts mehr tun, nichts mehr wollen können und dabei verfallen, häßlich werden, Falten bekommen, langsam zum Skelett werden, bis auch das zusammenbrach. — Der Gedanke schüttelte sie wie etwas Widersinniges, Wahnsinniges, Unfaßliches.

Was hatte sie nicht schon alles hingegeben in dem unbändigen Drang nach ihrem innersten Selbst, das so viel zum Opfer wollte — Heimat, Geschwister, selbst den Bruder, den sie so sehr liebte, denn der war schließlich auch von ihr gegangen zu den anderen — den Mann, dem ihre erste große Leidenschaft gehörte — sein Kind — Reinhard — alles, alles von sich geworfen, ihr war, als ob sie immer nur über Leichen hinweggegangen sei —, um schließlich vor ihrer eignen anzukommen, und daneben stand das Schicksal und grinste sie eisig an: Es ist noch nicht genug — jetzt nehme ich dir auch noch deine letzte Kraft, deinen jungen Körper, der noch blühen wollte, deine jungen Jahre, die noch heißes Verlangen trugen —, und schlage dich zum Krüppel. Ohnmächtig sollst du vor mir daliegen, und es war alles umsonst.

Und sie konnte nicht einmal aufspringen, um sich zu wehren oder zu fliehen. Was half es ihr, wenn sie die Fäuste zum Himmel ballte und ihrem Geschick fluchte? — Nein — kraftlos daliegen und warten, bis der Schlag sie traf oder an ihr vorbeiglitt. — Wie

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Fanny Gräfin zu Reventlow: Ellen Olestjerne. München: Albert Langen, 1925, Seite 683. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reventlow_Werke_0683.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)