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wieder Henryks Stimme zu hören: Hart sein, Ellen, stark sein — und sie fühlte sich fast übermenschlich stark in diesem einsamen Kampf.

Reinhard begann allmählich sich um ihre Gesundheit zu sorgen — Ellen hatte gleich wieder angefangen zu arbeiten, aber wenn er nachmittags aus seinem Bureau kam, fand er sie meist auf dem Sofa, oder sie saß in dem leeren Zimmer, das ihr als Atelier diente, mitten unter ihren Malsachen und Skizzen und starrte vor sich hin.


Es waren jetzt sechs Wochen vergangen, seit Ellen aus München kam.

Sie saßen sich abends gegenüber an Reinhards großem Schreibtisch.

„Willst du mir etwas helfen?“ fragte er. „Ich habe heute schon so viel geschrieben.“

Er litt manchmal an Augenschmerzen und liebte es, dann zur Abwechslung zu diktieren. So setzte Ellen sich an seinen Platz und begann zu schreiben.

„Bist du müde?“ fragte er ein paarmal. Ellen schüttelte den Kopf. Sie fühlte seit ein paar Tagen Schmerzen, die jetzt gegen Abend immer heftiger wurden. Eine Viertelstunde nach der anderen ging vorüber, und sie biß heimlich die Zähne zusammen, während eine ratlose Angst durch ihre Gedanken wirbelte. Inzwischen schob sie die Lampe so, daß ihr Gesicht im Schatten war.

Als die Arbeit zu Ende war, stand Reinhard auf: „Danke, Ellen, hast du dich auch nicht zu sehr angestrengt?“ Er sah, daß sie sehr blaß war. „Geh nur gleich schlafen.“

Ellen hatte ihr eigenes Zimmer neben dem Atelier.

Was sie während dieser langen Nachtstunden durchlebte, erfüllte sie mit solchem Entsetzen, daß sie glaubte, ihre Haare müßten weiß werden oder eine sichtbare Spur in ihren Zügen zurückbleiben. Stundenlang lag sie alleine da in der Nachtstille unter unerträglichen Qualen, die nicht laut werden durften, und ließen die Schmerzen nach, so kamen all die Gedanken, die sie fast noch mehr folterten. — Ihr Kind — Henryks

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Fanny Gräfin zu Reventlow: Ellen Olestjerne. München: Albert Langen, 1925, Seite 662. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reventlow_Werke_0662.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)