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Ellen, ein Weib wie dich werde ich nie wiederfinden, nie. Und du wirst etwas leisten in der Kunst, wenn du treu bleibst. Willst du dann auch noch etwas an mich denken und an alles, was wir zusammen gelebt und gesprochen haben?“

Das letzte, was Ellen von München sah, war Henryk, der auf dem Perron stand, unter der dunklen Riesenhalle, im Frühlingsabend und zu ihr hinaufsah. — Selbst in dieser Stunde fühlte sie keine Verzweiflung, kein zerreißendes Entsagen, ihr war nur, als ob sie einen Sarg mit sich führte, in dem ihre Jugend, all ihr Glücksverlangen und ihre Liebe lag, während sie dahinfuhr, einer fremden, gleichgültigen Zukunft entgegen — fremd und gleichgültig, weil ja doch alles gestorben war — eine lange, stumme Totenwache, während der Zug rollte und rollte.


Ein paar Wochen später war Ellen Reinhards Frau — und ihr Zusammenleben gestaltete sich vom ersten Tage ganz anders, wie er gedacht hatte.

Er war auf einen langen, schwierigen Kampf gefaßt, auf ihren stets bereiten Widerspruch gegen tausend Dinge, die ihr jetziges Leben und seine Stellung verlangten. Aber nur einmal, als die Rede davon war, sie wieder mit ihrer Familie zu versöhnen, sträubte Ellen sich so wild gegen jede Annäherung, daß er schließlich nachgab. Sonst ließ sie alles fast willenlos über sich ergehen, selbst über die kirchliche Trauung verlor sie kein Wort, während sie früher bei dem bloßen Gedanken in Empörung geriet. Überhaupt fand er sie seltsam verändert — nichts mehr von ihrem alten Übermut und dafür etwas Stilles, in sich Gekehrtes und eine Weichheit, die er früher nicht an ihr gekannt hatte. Mit Staunen sah er, daß Ellen sich ihrer Häuslichkeit annahm und das äußere Leben sich ohne Schwierigkeit abwickelte. Was mochte es sie gekostet haben, sich von ihrem sorglosen, ungebundenen Leben in München loszureißen, und dem wollte er Rechnung tragen, es ihr so leicht machen, wie nur möglich. Es entsprach ihrer beider Wunsch, still und zurückgezogen zu leben, sich den Tag so einzurichten, daß jeder seiner

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Fanny Gräfin zu Reventlow: Ellen Olestjerne. München: Albert Langen, 1925, Seite 660. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reventlow_Werke_0660.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)