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Ellen begegnete dem Blick ihrer Freundin — sie war die einzige, die von ihrem Verhältnis zu Henryk wußte, und die wohl jetzt auch den ganzen Zusammenhang ahnte. Sie hatte ein seltenes Vermögen, mitzuwissen und mitzufühlen, auch das, was man ihr nicht mit Worten sagte, weil Worte zu wehe taten.

„Ich glaube doch, daß Ellen wiederkommt,“ meinte sie in ihrer langsamsten Weise, „und warum soll sie nicht heiraten, wenn ihr Mann sie weitermalen läßt.“

Zarek hob feierlich sein Glas: „Prost, Fräulein, stoßen wieder an auf Kunst. — Braucht man nicht treu sein Männern, wenn man nur treu bleibt in Kunst. Seid ihr tapfre Weiber und gute Kameraden. — Mach nicht so traurige Augen, Ellen — sehen wir uns alle wieder.“

Nein, sie war nicht traurig, — ihr war nur, als ob nichts wieder ein Gefühl in ihr zu lösen vermöchte. — Da saßen sie, die Freunde, die Kameraden, mit denen sie das Leben so froh geteilt hatte, und sie begriff es selber kaum, daß sie es über sich gewann, ihnen nicht ihr ganzes Elend ins Gesicht zu schreien. Aber was bedeutete es jetzt noch, daß sie auch die alle verlieren sollte — mochten die Räder über sie hingehen und alles zermalmen, daß nichts mehr übrig blieb. Ihr Schmerz war keiner, den man ausrasen oder ausweinen konnte, mit eiserner Wucht lag es auf ihr, drängte sich mit tausend glühenden Fangarmen in ihre Seele hinein und preßte sie zu einem fühllosen Etwas zusammen. — Das einzige, was noch in ihr lebte, war der Gedanke an das Kind — ihr Kind und Henryks — das mußte geborgen werden — dafür geschah ja das alles. Ihr war wie einem Menschen, der sein Haus brennen sieht und hineinstürzt, um ein Kleinod zu retten, an das er bis dahin kaum gedacht hat. Aber jetzt in diesem Augenblick weiß er nichts mehr, als daß dies Eine geborgen werden muß, — alles übrige mögen die Flammen verschlingen, mag einstürzen, ihn selbst mitbegraben, darauf kommt es nicht mehr an. — —

Ellen wollte jetzt so rasch wie möglich fort von München, — aber jeden Tag, der ihr noch blieb, trank sie in sich ein wie einen Becher mit schwerem Wein

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Fanny Gräfin zu Reventlow: Ellen Olestjerne. München: Albert Langen, 1925, Seite 658. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reventlow_Werke_0658.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)