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Henryk ließ sie nicht gehen, er schloß die Tür zu.

„Ich weiß, was du willst — ich kann es mir denken — aber ich will es nicht.“

Sie konnte sich nicht länger beherrschen und schrie auf: „Laß mich, Henryk! — Es hat ja keinen Sinn, es noch länger hinauszuschieben. — Was soll ich denn tun?!“

„Komm, Kind, sei vernünftig — du hast ja doch nicht den Mut dazu.“

Nein, den hatte sie im Grunde nicht, das Grauen vor dem Tod schüttelte sie, wenn sie klar darüber nachdachte. Aber er sollte sie nur in ihrer Verwirrung lassen, dann würde es schon gehen — irgendwo hinaus ans Wasser und dann besinnungslos hinein, dann war ja alles gut. So setzte sie sich wieder auf das Bett, die Hände vorm Gesicht und wollte nicht antworten, nicht sehen, nichts mehr hören, nur ganz in sich hineinsinken, sich kalt und gleichgültig machen zu dem, was unabänderlich vor ihr stand.

„Du hast mir gesagt, daß der Brief noch nicht fort ist — du darfst ihn überhaupt nicht abschicken, Ellen.“

„Es geht nicht länger — er wartet immer noch darauf, daß ich komme.“

„Du mußt ihn heiraten, Ellen, es bleibt nichts anderes übrig.“

Es ging ihr eisig durchs Herz — ein Schrecken, der furchtbarer war, wie alles andere. Einen Augenblick war ihr zumut, als ob die ganze Welt um sie her zusammenbräche und in einem wirren Haufen zu ihren Füßen niederrollte. Sie sagte kein Wort, während Henryk immer weitersprach: „Er liebt dich, und ist es nicht besser, wenn einer glücklich wird, als daß wir alle drei zugrunde gehen?— Wenn du dir etwas antust, ist mein Leben mitzerstört und seines auch. Oder glaubst du, ich könnte weiterleben mit dem Gedanken, dich in den Tod gejagt zu haben? Ellen, und ich kann dich nicht bei mir behalten mit einem Kind, du weißt es selbst — was sollte aus uns allen werden dabei?“

Nach langer Zeit nahm Ellen die Hände vom Gesicht und sah ihn an. Sie fühlte nur wieder, wie sie ihn liebte, daß ihre Liebe bis an die Grenzen des

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Fanny Gräfin zu Reventlow: Ellen Olestjerne. München: Albert Langen, 1925, Seite 656. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reventlow_Werke_0656.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)