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sie die Worte nicht finden und begann am nächsten Tag von neuem.

Nachts konnte sie nicht schlafen, wenn sie auch todmüde war. Ihre Gedanken gingen irre durcheinander. — Henryk mit seinem: Was soll daraus werden? — Die Frage drängte sich auch ihr immer unentrinnbarer auf. — Von ihm fordern, daß er für sie und ihr Kind sorgen sollte, sein Künstlertum unterbinden, lähmen? — Nein, er mußte freibleiben, sie wollte sich nicht wie ein Bleigewicht an ihn hängen. Aber was dann? — Dann stand sie vor dem nackten Elend, vor dem Hunger — sie und ihr Kind.

Ihr Geld war jetzt völlig zu Ende, hie und da lieh sie sich etwas von den Bekannten, aß mit Zarek zu Mittag, weiter brauchte sie nichts. Noch vor kurzem hatte es ihr ganz einfach geschienen, jahrelang so weiterzuleben, wenn sie sich von Reinhard trennte. Aber jetzt, wo ihre Kräfte immer mehr versagten, wo sie tagelang mit Ohnmachten und einem entnervenden Schwindelgefühl kämpfte und das kleine Leben in ihr sich immer beängstigender regte — und niemand, der ihr zu Hilfe kam.

— Sterben — immer wieder kamen ihre Gedanken darauf zurück — jedes Gefühl in ihr wehrte sich dagegen, aber was blieb ihr sonst? Es muß sein — das sagte sie sich immer wieder vor wie eine Lektion, die nicht in den Kopf hinein will. — Den Brief an Reinhard wollte sie zurücklassen — er war jetzt endlich fertig geworden — und dann von Henryk Abschied nehmen, ohne daß er etwas davon wußte.

Aber er kannte sie zu gut, er wußte immer, was sie dachte, und ihre Angst verriet sich, ohne daß sie es wollte.

„Was hast du vor, Ellen? — Du hast doch nicht schon an ihn geschrieben?“

„Schon?“ sagte sie. „Mir scheint, es ist höchste Zeit. Der Brief liegt da und braucht nur noch abgeschickt zu werden.“

„Was hast du vor, Ellen?“

„Ich weiß selbst nicht — laß mich gehen, ich komme morgen wieder.“

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Fanny Gräfin zu Reventlow: Ellen Olestjerne. München: Albert Langen, 1925, Seite 655. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reventlow_Werke_0655.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)