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Möbeln und Familienbildern saß, erzählte sie all ihre Erlebnisse zu Hause und in der Pension.

Die Tante hörte aufmerksam zu: „Ja, mit deiner Mama ist es sehr schwierig — ich habe sie auch manchmal nicht verstehen können. Du bist ja jetzt groß genug, daß man mit dir darüber reden kann. Aber bei mir sollst du dich nun einmal wirklich wohl fühlen und soviel Freiheit haben, wie ich dir mit gutem Gewissen geben kann. Es ist eine Malerin hier, bei der du Stunden nehmen kannst, wenn du so große Lust dazu hast.“

Ob sie Lust hatte! Ellen riß beinahe das Tischtuch mit Lampe und allem herunter und fiel der Tante um den Hals.

„Und wenn die sagt, daß du Talent hast, lassen sie dich vielleicht auch zu Hause dabei. Dann hast du wenigstens eine Arbeit, die dir Freude macht.“

Ellen bekam ein Zimmer als Atelier eingerichtet und warf sich gleich vom ersten Tage an mit Heißhunger auf die Arbeit, mit ihrer vollen, gesunden Jugendkraft, die sie bisher fast wie etwas Überflüssiges gedrückt hatte und jetzt mit einemmal in ihr aufjauchzte, weil sie ein Ziel bekam und das Ziel, das ihr glühendster Wunsch war. Am liebsten stand sie die ganzen, langen Sommertage vor der Staffelei oder streifte mit dem Skizzenbuch draußen herum, statt mit der Tante auf Besuche zu fahren oder Vergnügungen mitzumachen. Ihre Lehrerin betete sie etwas scheu und aus der Ferne an — eine Künstlerin, die in Paris und München gewesen war, ein Wesen aus einer ganz andern Welt, von der Ellen nichts geahnt hatte und alles mit staunender Glut verschlang, was sie jetzt erfuhr. Sie schämte sich ihrer bodenlosen Unwissenheit — hatte noch nie ein richtiges Bild gesehen, nicht einmal gewußt, daß man nach lebenden Modellen malte, und tat so dumme Fragen, daß Fräulein Hunius oft lächelte. Und wie die da herumging zwischen all den beschränkten, engherzigen Leuten — nur ihrer Kunst lebte. Nur der Kunst leben. Ellen fing an zu ahnen, was das sein müßte. Wenn die Lehrerin zur Stunde kam, stand

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Fanny Gräfin zu Reventlow: Ellen Olestjerne. München: Albert Langen, 1925, Seite 554. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reventlow_Werke_0554.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)