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lachend hin und überbot sie durch noch ärgeres Benehmen. Im Schlafsaal gab es fast jeden Tag Skandal. Wenn Ellen sich Wasser holte, balancierte sie die blecherne Waschschüssel auf dem Kopf und behauptete, sie könnte kein Blech anfassen. Beim Mundspülen gurgelte sie nur in Melodien und sagte, es käme ganz von selber, sie könnte es nicht lassen. Und wenn alle im Bett lagen, fing sie an zu heulen wie ein wildes Tier in langgezogenen Tönen die halbe Nacht hindurch, so daß niemand schlafen konnte.

„Ellen, sei ruhig,“ schrie die Erste, die Aufsicht führen mußte.

„Mein Gott, ich bin so traurig, du kannst mir doch nicht verbieten, zu weinen,“ und sie heulte weiter. Die andern kamen um vor Lachen, und die Erste war machtlos dagegen. Sie konnte nur anzeigen, immer wieder anzeigen, und das war Ellen jetzt ganz gleichgültig, sie lebte in einem förmlichen Rausch von Auflehnung. Ein paarmal ging sie zur Pröpstin, um sich selbst anzuzeigen, wenn sie fand, daß man zu nachsichtig gegen sie war.

„Miß Collins hat wohl vergessen zu melden, daß ich gestern in der Stunde gelacht habe.“

Die Pröpstin geriet außer sich vor Zorn und verbot ihr schließlich, das Zimmer überhaupt noch zu betreten.

Aber manchmal fühlte Ellen sich auch todunglücklich — sie stand jetzt wirklich ganz allein, selbst Editha wollte nichts mehr von ihr wissen, hatte sich immer mehr von ihr zurückgezogen und ging nur noch mit einer früheren Freundin, die Ellen nicht leiden konnte. Sie ballte heimlich die Hände, wenn sie die beiden zusammen sah, und ihre Dichtungen wurden immer verzweifelter: draußen heulte der Sturm, Eulen schrien in finstrer Nacht — alle schliefen, nur sie allein wachte mit ihrem zerrissenen Herzen, in dem die Leidenschaft wütete und die verratene Liebe. Manchmal wurden es auch Rebellengesänge: „Wie lange soll ich diese Schmach noch dulden — wie lange diese Ketten tragen noch!“ oder: „Es kreist mein Blut in wildem schnellem Lauf — und alle

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Fanny Gräfin zu Reventlow: Ellen Olestjerne. München: Albert Langen, 1925, Seite 545. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reventlow_Werke_0545.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)