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dunklen, schweren Augen. Und ihre Hände und Füße, die so klein und zierlich waren — man konnte kaum begreifen, daß Editha sie wie andere Menschen gebrauchen konnte.

Für die alte Vorsteherin gab es viele schwere Stunden. Seit die beiden so eng befreundet waren, schien eine ganze Horde von Teufeln in dem ehrwürdigen alten Gebäude zu spuken. Die ganze erste Klasse war außer Rand und Band, trotz Konfirmationsstunden und quälender Gewissensfragen. Es kam vor, daß den Lehrerinnen Salz ins Bett gestreut wurde, so daß sie die ganze Nacht nicht schlafen konnten, oder dem Kandidaten wurden alle Knöpfe vom Mantel geschnitten und der Hut von oben bis unten mit Kreide bemalt, was dann niemand getan haben wollte. Oder Ellen und Editha wetteten, ob man Tinte trinken und vom höchsten Schrank herunterspringen könnte. Und sie tranken wirklich Tinte und sprangen von den Schränken herunter auf die Fliesen, daß die andern leichenblaß wurden vor Schreck.

Anfang Februar war Edithas Geburtstag. Ellen träumte eine Zeitlang davon, der Freundin ihre gesammelten Gedichte zu schenken, mit Druckschrift und schön gebunden. Sie schienen ihr aber schließlich doch nicht gut genug, und so wollte sie denn lieber ein Gedichtbuch kaufen. Wer sie gemacht hatte, war ja einerlei, wenn nur recht viel von Liebe drin stand. Es war nicht so einfach, eins zu bekommen, denn das Taschengeld wurde ihr regelmäßig für Strafen abgezogen, und alle Einkäufe gingen durch die Hand der Vorsteherin.

Ellen zerbrach sich nicht lange den Kopf darüber, sie borgte die kleine Summe zusammen, obgleich Geldleihen streng verboten war, und überredete eine von den letzten Neuen, das Buch auf ihren Namen kommen zu lassen. Es war eine Sammlung von 450 Gedichten.

Dann lag es eine Nacht unter ihrem Kopfkissen, und sie dachte in fieberhafter Seligkeit daran, wie Editha es morgen an ihrem Platz finden würde.

Als Ellen vor der ersten Stunde ihre Bücher

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Fanny Gräfin zu Reventlow: Ellen Olestjerne. München: Albert Langen, 1925, Seite 541. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reventlow_Werke_0541.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)