Seite:Retter wider Willen.pdf/4

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Walther Kabel: Retter wider Willen (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 4)

seiner Gattin im geschlossenen Auto die Reichshauptstadt, um nach seinem Gute zurückzukehren. Etwa fünfzehn Kilometer vor Frankfurt hielt der Wagen plötzlich. Der Lenker sprang ab und meldete Herrn v. S., daß vor ihnen mitten auf der Straße ein Mensch liege. Die flüchtige Besichtigung ergab, daß der Betreffende, ein anständig gekleideter Mann, eine Wunde an der Stirn hatte und offenbar ohnmächtig war. Der Freiherr trug darauf mit Hilfe des Chauffeurs den Fremden in sein Auto und nahm ihn mit nach seinem Gute, da man unterwegs keine Ortschaft mehr passierte, wo der Verletzte hätte abgeliefert werden können. Als man ihn dann in einer Stube des Inspektorhauses untergebracht und die Wunde an der Stirn, die im übrigen recht unbedeutend war, ausgewaschen hatte, kam er zu sich und erzählte dem Freiherrn folgendes. Er sei der Privatdozent Doktor Friedrich Möller von der Berliner Universität und habe heute morgen in aller Frühe auf seinem Rade nach Berlin fahren wollen. Unterwegs sei er dann von einem Manne, der ihm entgegenkam, überfallen und mit einem Stock vom Rade geschlagen worden. Weiter könne er über den Vorfall nichts angeben, da er wohl mehr vor Schreck als infolge des Stockhiebes das Bewußtsein verloren habe.

Es stellte sich dann heraus, daß Doktor Möller von dem Strolch vollständig bis auf die kleinste Kleinigkeit ausgeplündert war. Sogar die Radlermütze schien der Attentäter mitgenommen zu haben.

Der Majoratsherr zweifelte keinen Augenblick an der Wahrheit dieser Angaben, zumal Doktor Möller ein äußerst gewandtes Auftreten besaß und auf der linken Wange einen flotten Schmiß hatte, der ihn als Akademiker auswies. Der Privatdozent tat dann sehr bestürzt, als er erfuhr, daß es inzwischen zwei Uhr nachmittags geworden sei. Auf des Gutsbesitzers teilnehmende Frage erklärte er, er müsse unbedingt um sechs Uhr abends in Berlin sein, da er um sieben im Kultusministerium einen wissenschaftlichen Vortrag zu halten habe. Seine Absicht sei ja auch gewesen, von der nächsten Station aus die Eisenbahn zur Weiterfahrt zu benützen, damit er ja zur Zeit in Berlin eintreffe.

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Retter wider Willen (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 4). Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1915, Seite 217. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Retter_wider_Willen.pdf/4&oldid=- (Version vom 1.8.2018)