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etwas abseits vom Dorfe, ganz am Waldesrand. Ueber der Eingangstür war eine Eule angenagelt, und in der mit allerhand uraltem Hausrate vollgepropften Stube hausten mit der Alten zwei pechschwarze Raben und eine große schwarze Katze. Auf einem Brettersims an der Wand standen zahlreiche Fläschchen und Büchsen, gefüllt mit Mixturen und Salben, die das Weib aus den gesammelten Heilkräutern selbst bereitete. Wer in Reinhardtswalde krank war, nahm des Kräuterweibes Hilfe in Anspruch  Aber auch noch in anderen Künsten war die Alte erfahren! Das Kräuterweib verstand sich auch auf die besonderen Herzleiden der Burschen und Mädchen. Sie braute in der Geisterstunde Mixturen, Liebeskummer zu heilen und entzweite Herzen wieder zu vereinen.

     Das Reinhardtswalder Kräuterweib hatte eine große Kundschaft. Meist kamen die Leute nachts zu ihm, damit sie nicht so sehr den neugierigen Blicken der Leute ausgesetzt waren.

     Am Tage war das Weib auch selten daheim anzutreffen; denn da streifte es durch Wald, Heide, Feld und Wiesen und sammelte all’ die Heilkräuter, die zur Bereitung der Salben, Mixturen und Liebestränklein nötig waren.

     Das Reinhardtswalder Kräuterweib ist längst tot, aber ihr Geist irrt noch heute im wüsten Dorfe umher. Zuzeiten sieht man am hellen Tage ein steinaltes Weib in gebückter Haltung und gestützt auf einen Krückstock wie etwas suchend durch den Wald schleichen. Scheu weicht es jedem aus und verschwindet dann spurlos.

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Friedrich Bernhard Störzner: Reinhardtswalder Sagenbüchlein. Buchhandlung Otto Schmidt, Arnsdorf in Sachsen 1924, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reinhardtswalder_Sagenb%C3%BCchlein_Fr._Bernh._St%C3%B6rzner_18.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)