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ich müßte nun dafür büßen, weil ich mich in dem Charakter Kreisers getäuscht hätte. Ich halte es nicht für die Aufgabe des Redakteurs, Charakterologie zu treiben, und übrigens hat mir Kreiser niemals Anlaß zum Mißtrauen gegeben. Er gehörte, wenn er auch in der ‚Weltbühne‘ selten genug aufgetreten ist, zu dem alten Mitarbeiterstamm aus der Zeit von S. J. Der Redakteur muß von dem Schriftsteller stichfestes Material für die in seinen Aufsätzen aufgestellten Behauptungen fordern. Weitere Ansprüche hat er nicht zu stellen. Der Redakteur ist ein vielbeschäftigter Mensch, der sich nicht noch nebenbei mit Tiefenpsychologie befassen kann. Und die Voraussetzung der substanziellen Echtheit hat Kreisers Arbeit aufs glanzvollste erfüllt. Weil der Artikel stimmte, deshalb sind wir ja so hart verurteilt worden. Hätte er sich als unwahr herausgestellt — das ist eben die Absurdität der reichsgerichtlichen Judikatur in Landesverratsprozessen — so wären wir viel billiger davongekommen. Gesetzt aber, die Behauptungen des inkriminierten Artikels hätten nicht gestimmt und der Hohe Senat hätte uns nur wegen Verbreitung falscher Nachrichten einen kleinen Rippenstoß versetzt — wäre Kreiser dann ein besserer Charakter gewesen?

Nein, ich lehne die als mildernden Umstand gedachte Konstruktion ab, ich wäre einem schlechten Menschen aufgesessen. Ich wiederhole auch heute noch, was ich unmittelbar nach dem Prozeß schrieb, daß Kreiser sich während der Verhandlungen ausgezeichnet gehalten hat. Das werden auch unsre Anwälte gern bestätigen. Ich denke nicht, ihn in dem, was zu dem Prozeß geführt und sich während seiner Dauer abgespielt hat, preiszugeben. Was nachher geschehen ist — damit beginnt eine neue Geschichte, wie der Dichter sagt.

Kreiser hat mich später gewiß aufs schlimmste enttäuscht. Er hat seine Sache von der gemeinsamen getrennt und sich zu Handlungen hinreißen lassen, die nur noch als verrückt zu bezeichnen sind. Aber es gibt für all das nur einen Schuldigen: das ist der Urteilstenor vom 24. November. Es gibt in dieser ganzen Affäre keinen Landesverrat, keine enthüllten militärischen Geheimnisse. Es gibt nur diesen Urteilstenor.

Überzeugung — oder was sonst?

Der Rentenempfänger Otto Liesch
hat Deutschland an Polen verraten.
Man hat ihm zwei Jährchen aufgebrummt
für seine abscheulichen Taten!
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Ich hab es gehört! Und ganz genau!
Er hat dem Polen verraten:
Die Zukunft von Deutschland sei nebelgrau
und es gebe ne Masse Soldaten! Pscht!
 Walter Mehring

Als ich kurz nach meiner Verurteilung in der ,Weltbühne‘ und an andrer Stelle das Wort nahm, konnte ich guten Glaubens

Empfohlene Zitierweise:
Carl von Ossietzky: Rechenschaft. Berlin: Verlag der Weltbühne, 10. Mai 1932, Seite 20. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Rechenschaft_8.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)