Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

die hoffentlich ihr Blatt nicht abbestellen werden, weil ein Deutscher darin geschrieben hat.

Kreiser wollte den deutschen Militarismus entlarven. Gut. Aber was er verkennt, das ist, daß es heute nichts mehr zu entlarven gibt. Die Welt hat sich still damit abgefunden, Deutschland als einen Sonderfall zu betrachten und über gelegentlich wieder aufs Tapet gebrachte militärpolitische Eskapaden ruhig zur Tagesordnung überzugehen. Es ist nicht mehr so wie in den Tagen Poincarés, wo jedes bei Stargard oder Bentschen aus einem Dunghaufen gebuddelte Maschinengewehr die Gemütssicherheit der ehemaligen Mitglieder der heute aufgelösten Firma Feindbund & Co. erschütterte. Ob das offizielle Deutschland sich in militärischer Hinsicht an den Friedensvertrag hält oder nicht, interessiert im Grunde niemanden mehr. Die größere Anteilnahme der Welt gehört heute dem inoffiziellen Deutschland, dem Fascismus, der schon morgen die einzige Macht im Reich sein kann. Aber republikanisches oder fascistisches Deutschland, im Hintergrunde wartet etwas, das größer und beunruhigender ist als beide, das die Nerven der kapitalistischen Staaten in viele ärgere Schwankungen versetzt, und das ist Sowjet-Rußland. Daneben rückt Deutschland, werde es von Brüning oder Hitler beherrscht, auf den dritten Platz. Kreiser beachtet nicht, daß die deutschen Militärfragen viel von ihrer einstigen Sensation verloren haben. Ich möchte ihm diesen Irrtum nicht ankreiden, er teilt ihn mit seinem württembergischen Landsmann Groener.

Aber was ihm jeder deutsche Friedensfreund ankreiden muß, das ist die Wahl seiner Tribüne. Das ,Echo de Paris‘ ist keine Lehrkanzel für Ideen über die Schädlichkeit des deutschen Militarismus. Kreiser glaubte gewiß von einem wichtigen internationalen Platz zur ganzen Welt zu sprechen, von einem durch seine Person gleichsam neutralisierten Forum. In Wahrheit hat er nur von Le Creusot aus gesprochen und damit entwertet, was an seinen Absichten noch diskutabel war. Er hat geglaubt, der Befreiung Deutschlands vom Geiste des Militarismus zu dienen, und in Wirklichkeit ist seine Hand geführt worden von journalistischen Werkzeugen französischer Kanonenfabrikanten, deren unsichtbarer und unfreiwilliger Auftraggeber doch der deutsche Nationalismus ist. Es ist kein Zufall, daß unter den deutschen Blättern die ‚Berliner Börsenzeitung‘ am leidenschaftlichsten reagiert hat. Das entspricht den Bewegungsgesetzen der Blutigen Internationale. Was aber mag die französische Linke über einen deutschen Gesinnungsfreund denken, der sich mitten im Wahlkampf dem Blatt zur Verfügung stellt, das am wüstesten für die innenpolitische Reaktion und gegen die Verständigung mit Deutschland kämpfte, die doch das Programm aller linken Gruppen ist?

Die ‚Frankfurter Zeitung‘ hat kürzlich die Bemerkung gemacht,

Empfohlene Zitierweise:
Carl von Ossietzky: Rechenschaft. Berlin: Verlag der Weltbühne, 10. Mai 1932, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Rechenschaft_7.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)