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Die ‚Weltbühne‘ hat in langen Jahren für deutsche Angelegenheiten oft die schärfsten und schroffsten Formulierungen gefunden. Sie hat dafür von rechts den Vorwurf der Verräterei, von links den des verantwortungslos krittelnden individualistischen Ästhetentums einstecken müssen. Die ,Weltbühne‘ wird auch weiterhin das sagen, was sie für nötig befindet; sie wird so unabhängig bleiben wie bisher, sie wird so höflich oder frech sein, wie der jeweilige Gegenstand es erfordert. Sie wird auch in diesem unter dem Elefantentritt des Fascismus zitternden Lande den Mut zur eignen Meinung behalten. Wer in den moralisch trübsten Stunden seines Volkes zu opponieren wagt, wird immer bezichtigt werden, das Nationalgefühl verletzt zuhaben. Die ,Weltbühne‘ hat immer eine ganz bestimmte und deutlich gezeichnete Haltung eingenommen, und daraus ergibt sich für sie eine besonders verpflichtende Bindung an jene, die auf sie hören und die an sie glauben. Ihre Stimme kann nur Klang behalten, wenn ihr verantwortlicher Herausgeber seine ganze Person einsetzt und dann, wenn es ungemütlich wird, nicht die bequemere Lösung wählt sondern die notwendige.

Etwas ähnliches muß wohl auch das Reichsgericht empfinden. Denn bis zum Vorabend meines Strafantritts hat niemand meine Bewegungsfreiheit beengt, erst heute hat man mir meinen Paß abgefordert. Meiner Abreise stand nichts im Wege. Schon aus diesem Grunde weiß ich, daß sie ein Fehler gewesen wäre. Es ist nicht meine Aufgabe, dem Reichsgericht das Leben angenehmer zu machen.

Kreiser

Ich bin in der Lage, die Richtigkeit meines Entschlusses an der Haltung zu kontrollieren, die mein Mitverurteilter Walter Kreiser seitdem eingenommen hat. Dem dringenden Rat aller Unterrichteten entgegen habe ich über dieses Kapitel bisher geschwiegen. Heute muß endlich gesagt werden, was vorgegangen ist.

Kreiser bat sich schon eine Woche nach der Urteilsverkündung nach Paris begeben und dort später unter Verwendung des in seiner Hand befindlichen, übrigens sehr lückenhaften Prozeßmaterials im ,Echo de Paris‘ eine Campagne gegen die deutsche Militärpolitik eröffnet. Niemand von uns hat etwas von Kreisers Flucht gewußt, wir sind davon aufs unangenehmste überrascht worden. In einem Brief aus Paris hat Kreiser sowohl mir als auch Doktor Apfel das Versprechen gegeben, keine Publikation ohne meine Zustimmung zu unternehmen. An dieses Versprechen hat er sich nicht gehalten. Er salviert sich nur, indem er in seinem ersten pariser Artikel vom 9. April erklärt, die Veröffentlichung geschähe ohne mein Vorwissen:

Empfohlene Zitierweise:
Carl von Ossietzky: Rechenschaft. Berlin: Verlag der Weltbühne, 10. Mai 1932, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Rechenschaft_4.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)