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dazu noch nicht einmal der Boden vorbereitet. Aber im Gegensatz zu den Kommunisten glaube ich nicht, daß da erst die proletarische Revolution Remedur schaffen kann, daß erst der Sozialismus die richtige Einordnung der Armee vollführen wird. Wir haben nicht so lange Zeit zu warten. Allmachtsgefühle politisierender Offiziere zu dämpfen, das ist die aktuelle Aufgabe des Staates, wie er ist, und nicht die des Staates, wie er sein soll und hoffentlich einmal sein wird.

Es dreht sich heute nicht mehr um die verjährte Frage, ob die Reichswehr „zuverlässig ist“. Das ist sie insofern, als sie ihren Führern, wie es auch kommen möge, unbedingt gehorchen wird. Es handelt sich um diese Führer selbst, um ihre Ansprüche auf Einfluß jenseits ihres durch die Verfassung abgesteckten Bereiches.

In den letzten Monaten hat die ‚Weltbühne‘ nicht aufgehört, vor den katastrophalen Möglichkeiten militärischer Präponderanz zu warnen, die sich aus der Ernennung Groeners zum Reichsinnenminister ergeben konnten. Wir haben Woche für Woche auf die erhöhten Spannungen verwiesen, die eine natürliche Folge dieser Personalunion waren. Und jetzt ist der Eklat da. Heute wissen wir, daß die kraftvolle Soldatengeste, die das bürgerliche Recht auf Kritik wie die Insubordination eines Rekruten mit Arrest bei Wasser und Brot bedrohte, nur ein ausgedehntes Intrigenspiel verdeckte, das wohl komisch zu nennen wäre, wenn es nicht Hitler nahe an das Ziel seiner machtgierigen Wünsche gebracht hätte.

Jetzt sind sie mit einmal alle verzankt, unsre Herren Diktatoren. Die Dioskuren Schleicher-Hammerstein kreisen getrennt. Groener wäre beinahe von seinem Vertrauensmann durch eine Falltür geworfen worden. Die Besuche des Hauptmanns Röhm im Reichswehrministerium waren nicht so harmlos, wie offiziell dargestellt, die Frühstücksgenüsse der Republik nicht so bekömmlich, wie die Demokraten glaubten. Und auch Meißner hat mitgemacht, der vortreffliche Staatssekretarius, der dem ersten Reichspräsidenten noch bescheiden in die Gummischuhe geholfen hat und unter dem zweiten jetzt selbst in die hohe Politik steigen möchte. Diese ganze fröhliche Wissenschaft verdanken wir nicht irgend einem ehr- und wehrvergessenen Pazifisten, den man sofort wegen Staatsgefährdung einbuchten kann, sondern einer ganz offiziösen bayrischen Stelle, die sich nicht scheut, von „bolivianischen Methoden“ zu reden und einen General, der eben noch als Säule des Regimes Brüning galt, einen „Primo de Rivera“ zu heißen und des geplanten Kanzlersturzes zu verdächtigen. Die große Explosion ist da, ihr Umfang und ihre Konsequenzen sind kaum abzusehen, nur ihr Geruch ist unverkennbar.

Jetzt haben die Herren Generale ein paar Monate regiert, und das Resultat ist ein kaum lösbarer Wirrwarr, wenn nicht

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Carl von Ossietzky: Rechenschaft. Berlin: Verlag der Weltbühne, 10. Mai 1932, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Rechenschaft_16.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)