Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Bewegung auf die Beine zu stellen? Daß ich seit 1920 in der Redaktion der ‚Berliner Volkszeitung‘ an der Schaffung der ersten republikanischen Abwehrorganisationen mitgewirkt habe, die dann später von der Entwicklung verschlungen wurden oder im Reichsbanner aufgegangen sind. Tempi passati. Warum in der Erinnerung wühlen? Und es wäre ja doch verschwendet gewesen. Ich ließ es bleiben. Und die innere Kontrolle warnte mich auch, davon Gebrauch zu machen. Ich hatte das dumpfe Bewußtsein, vor diesem Gremium höchster republikanischer Richter würde mir das nicht mehr nützen als vor dem Sanhedrin des Dritten Reiches mit Goebbels als Oberpriester. Ich hätte auch schärfer herausarbeiten können, daß zu der Zeit, als der inkriminierte Artikel erschien, im März 1929, das Auswärtige Amt unter Stresemanns Leitung noch nicht naziverseucht war, daß sein damaliger Kurs sich noch von Generalsumtrieben und Eigenmächtigkeiten des militärischen Ressorts gestört fühlte, daß an diese Stelle vornehmlich das in Kreisers Schlußsätzen enthaltene und für das Publikum unverständliche Warnungssignal gerichtet war. Wozu — ? Die skeptisch machende Erfahrung sagte, daß unter den Herren Reichsrichtern gewiß der Eine oder Andre auch den Locarnopakt für ein landesverräterisches Unternehmen hält, daß Stresemann, wenn er noch lebte, heute vielleicht selbst als Angeklagter vor dem Staatsgerichtshof stünde. Ist der Kelloggpakt nicht Wehrverrat? Haben nicht richterliche Beamte in Zeitungen und öffentlichen Reden die deutschen Unterzeichner des Youngplans für zuchthauswürdig erklärt?

Für das Reichsgericht genügt schon die Kenntnis „antimilitaristischer Einstellung“. Das ist Landesverrat. Ein solches Subjekt muß auch bestechlich sein. Und wenn zufällig nicht — nun, Friedensfreund sein, ist an sich schon Kriminalverbrechen, nicht Überzeugung. So wie Kommunist sein gleichbedeutend ist mit Hochverräter, Verschwörer, Bombenwerfer. Das sind die beiden Schemen des Reichsgerichts.

Als ich im August 1929 von dem Untersuchungsrichter Braune vernommen wurde, fragte er mich zu meinen Personalien, ob ich gedient hätte und im Kriege gewesen wäre. Ich lehnte die Frage ab. Es ginge das Reichsgericht der Republik ohne Wehrpflicht nichts an, in welchem Militärverhältnis einer in der Kaiserzeit gestanden hätte. Herr Braune sah mich zuerst fassungslos an, dann antwortete er mit der Stimme eines verbissenen Schulmeisters: „Sie wollen das nicht sagen? Das Reichsgericht wirds schon herausbekommen!“ Das ist nur eine kleine Episode, die aber den ganzen Kern der Affäre bloßlegt. Wie der Beschuldigte zum Militär steht, das ist das Einzige, was das Reichsgericht wirklich interessiert.

Im Grunde sind diese Herren Reichsrichter unsicher gewordene Menschen, die ihr Schicksal in eine Zeit gestellt hat,

Empfohlene Zitierweise:
Carl von Ossietzky: Rechenschaft. Berlin: Verlag der Weltbühne, 10. Mai 1932, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Rechenschaft_12.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)