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Rechenschaft von Carl v. Ossietzky

Ich muß sitzen!

In diesen Tagen beziehe ich ein preußisches Gefängnis, um die achtzehn Monate abzusitzen, die mir der Vierte Strafsenat am 23. November vorigen Jahres wegen Landesverrats und Verrats militärischer Geheimnisse zudiktiert hat. Es ist also der Augenblick gekommen, wo ich meine Tätigkeit an der ‚Weltbühne‘ unterbrechen muß. Eine so von außen erzwungene Cäsur ist wichtig genug, um Rechenschaft abzulegen über das, was in den letzten Monaten geschehen ist und zugleich den Hintergrund zu zeichnen, von dem sich der Justizfall Weltbühne abhebt.

Der von der Verteidigung am 30. Dezember an den Reichspräsidenten gerichtete Antrag auf Begnadigung ist vor kurzem abgelehnt worden. „The quality of mercy is not strain’d“, sagt Portia. Gewiß ist die Qualität der Gnade bei uns nicht geringer als in Venedig, nur mit der Quantität hapert es. „Sie tröpfelt wie der milde Tau vom Himmel“, und sie tröpfelt meistens nach rechts. Dennoch würde ich es völlig verstehen, wenn Herr von Hindenburg, den ich immer eine Fehlbesetzung auf dem Präsidentenstuhl genannt habe und gegen dessen Wiederwahl ich geschrieben habe, einen Huldbeweis verweigerte. Kein Wort also gegen Herrn von Hindenburg, wenn er einen solchen Entschluß wirklich gefaßt haben sollte.

Nun sprechen aber einige Gründe dafür, daß das Gesuch meines Freundes Doktor Apfel, das später noch durch eine besondere Eingabe des Rechtsanwalts Professor Alsberg gestützt wurde, niemals von der allerhöchsten Stelle geprüft worden ist. Das Gnadenverfahren dürfte bereits im Reichsjustizministerium gescheitert sein. Herr Reichsjustizminister Joel verweigerte die verfassungsmäßige Gegenzeichnung, womit das Ganze für das Staatssekretariat beim Reichspräsidenten ein gewöhnlicher Bureauakt wurde. Ebenso wurde ein etwas später vom P.E.N.-Klub und der Deutschen Liga für Menschenrechte gemeinsam gestelltes Gesuch auf Umwandlung der Strafe in Festungshaft abgelehnt. Das ist nicht verwunderlich, aber die Antragsteller waren doch sehr erstaunt, als sie den Bescheid nicht, wie sie erwarten mußten, von dem Herrn Reichspräsidenten sondern von dem Herrn Reichsjustizminister erhielten. Nach einer weitverbreiteten Meinung ist am 10. April Herr Generalfeldmarschall von Hindenburg gewählt worden und nicht Herr Dr. jur. Joel.

Kürzlich ist in einer Zeitungsmeldung die Behauptung aufgestellt worden, die Sache hätte zunächst nicht so schlecht gestanden, bis dann Herr Groener sich erhoben und die Kabinettsfrage gestellt habe. Ich bin nicht unterrichtet, ob es

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Carl von Ossietzky: Rechenschaft. Berlin: Verlag der Weltbühne, 10. Mai 1932, Seite 1. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Rechenschaft_1.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)