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Gauner- und Räuberwesens, im Mittelalter kamen dazu noch die unausgesetzten Fehden und die Gefährdung durch Wölfe.

Mit jener öffentlichen Unsicherheit steht im Zusammenhang die vormalige Festungseigenschaft aller Städte mit ihrem Verschlossenhalten der Stadttore bei Nacht und in unruhigen Zeiten auch bei Tage.

Weiter waren es die in kurzen Fristen sich wiederholenden Heimsuchungen durch Pestkrankheiten verschiedener Art bei Menschen und Vieh, welche das ohnehin vorhandene Streben, sich gegen die Außenwelt abzuschließen, periodisch noch mehr steigerten.


IX. [Ravensburg wird bayerisch]

Während Ravensburg gegen das Ende des Mittelalters die größten Geldmänner Europas zu seinen Bürgern zählte, befand es sich, wie wir gesehen haben, seit dem dreißigjährigen Krieg in einem jämmerlichen wirtschaftlichen Verfall, und den nach 1750 eingetretenen schwachen Anlauf zu einer Besserung machten die französischen Revolutionskriege wieder zunichte. Nun aber trat der Wendepunkt ein, der die Periode des Niederganges abschloß. Die Wandlung beruhte freilich auf Rechtsbruch und Gewaltakten, und bevor der erfreuliche Wiederaufschwung seinen Anfang nahm, ging eine schmerzhafte und stürmische, fast zwei Jahrzehnte andauernde Übergangszeit voraus. Das alte Römisch-Deutsche Reich, das ohnehin nur noch ein Scheinleben geführt hatte, ging vollends auseinander, und auf Napoleons Machtgebot verschwanden von der Landkarte Oberschwabens alle die Zwergstaaten und kleinen Herrschaften, deren Eifersüchtelei und Indolenz die Interessen des allgemeinen Verkehrs so manchfach geschädigt hatten. Die kleinen schwäbisch-österreichischen Gebietsteile, deren Amtleute sich ebenfalls wie kleine Souveräne gebärdet hatten, wechselten auch den Herrn.

Ravensburg wurde 1803 dem Staate Bayern einverleibt. Das Aufhören der Reichsunmittelbarkeit ward von den Patriziern und den sonst gerade am Ruder befindlichen Familien im stillen betrauert; der gewöhnliche Bürgersmann aber hatte dabei kaum viel zu verlieren;[1] die bäuerlichen Untertanen der Stadt konnten bei einem Herrschaftswechsel nur gewinnen, und die Zahlung der Römermonate und andre schwere Finanzlasten, welche die Reichsstadt für das Reich, das Reichskammergericht und den schwäbischen Kreis bisher hatte tragen müssen, hörten auch auf. Nun fiel aber drei Jahre nachher, 1806, das ganze Landgebiet rings um die Stadt herum an das neue Königreich Württemberg, so namentlich die österreichische Landvogtei Altdorf, die Truchseß-Waldburgischen Herrschaften und die frühern Reichsstifte Weingarten, Weißenau und Baindt. Ravensburg war von da an eine gänzlich von Württemberg umschlossene, von dem übrigen Bayern getrennte bayrische Gebietsexklave. Die volkswirtschaftlichen Vorteile, welche aus der Vereinigung mit einem größern Staatswesen sich für die Stadt ergeben konnten, machte jene unglückliche Gebietsabgrenzung großenteils wieder zunichte.


  1. [S. 15, Anm. 1:] Die Bürger der Reichsstadt Ravensburg, die Patrizier ausgenommen, besaßen gar keine politischen Rechte, keinerlei Teilnahme am öffentlichen Leben, keine von ihnen gewählte Volksvertretung, keinen Einfluß auf Gesetzgebung, Regierung und Verwaltung des Gemeinwesens, auf dessen äußere Politik, auf die Besetzung der Ämter und auf die sorgsam geheimgehaltene Finanzgebarung. Kein Bürger, außer den Ratsherrn, durfte nach einem Beschluß von 1659 amtlich als „Herr“ tituliert werden. Einen gewissen Ersatz für die entgehenden politischen Rechte bildeten materielle Vergünstigungen aller Art.