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nehmen könne. Hat man sich eine Zeitlang darinne geübet: so wird sich nach und nach dem Gemüthe eine solche Idee von dem Zeitmaaße eindrücken, daß man nicht ferner nöthig haben wird, allezeit den Pulsschlag zu Rathe zu ziehen.

49. §.

Ehe ich weiter gehe, muß ich vorher diese unterschiedenen Arten des Zeitmaaßes etwas genauer untersuchen. Es giebt zwar derselben in der Musik so vielerley, daß es nicht möglich seyn würde, sie alle zu bestimmen. Es giebt aber auch gewisse Hauptarten davon, woraus die übrigen hergeleitet werden können. Ich will solche, so wie sie in Concerten, Trio und Solo vorkommen, in vier Classen eintheilen, und zum Grunde setzen. Sie sind aus den gemeinen geraden oder Vierviertheiltacte genommen, und sind folgende: 1. das Allegro assai, 2. das Allegretto, 3. das Adagio cantabile, 4. das Adagio assai. Zu der ersten Classe rechne ich: das Allegro di molto, das Presto u.s.w. Zu der zweyten: das Allegro ma non tanto, non troppo, non presto, moderato. u.s.w. Der dritten Classe zähle ich zu: das Cantabile, Arioso, Larghetto, Soave, Dolce, Poco andante, Affettuoso, Pomposo, Maestoso, alla Siciliana, Adagio spiritoso, u.d.g. Zur vierten gehören: Adagio pesante, Lento, Largo assai, Mesto, Grave, u.s.w. Diese Beywörter machen zwar unter sich selbst wieder jedes einigen Unterschied; doch geht derselbe mehr auf den Ausdruck der Leidenschaften, die in einem Stücke vornehmlich herrschen, als auf das Zeitmaaß selbst. Wenn man nur erst die vorhergemeldeten vier Hauptarten des Tempo recht in den Sinn gefasset hat; so wird man die übrigen mit der Zeit desto leichter treffen lernen: weil der Unterschied nur ein weniges beträgt.

50. §.

Das Allegro assai ist also, von diesen vier Hauptarten des Tempo, das geschwindeste[1]. Das Allegretto ist noch einmal so langsam als jenes. Das Adagio cantabile ist noch einmal so langsam als das Allegretto; und das Adagio assai noch einmal so langsam als das Adagio cantabile. Im Allegro assai bestehen die Passagien aus Sechzehntheilen oder eingeschwänzten Triolen; und im Allegretto aus Zwey und dreyßigtheilen oder zweygeschwänzten Triolen. Weil aber die itzt angeführten Passagien mehrentheils in einerley Geschwindigkeit gespielet werden müssen, sie mögen zwey- oder dreygeschwänzet seyn: so folget daraus,


  1.  
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Johann Joachim Quantz: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Johann Friedrich Voß, Berlin 1752, Seite 262. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Quantz_Versuch_Fl%C3%B6te_1752_Seite_262.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)