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5. §.

Um nun ein Adagio gut zu spielen, muß man sich, so viel als möglich ist, in einen gelassenen und fast traurigen Affect setzen, damit man dasjenige, so man zu spielen hat, in eben solcher Gemütsverfassung vortrage , in welcher es der Componist gesetzet hat. Ein wahres Adagio muß einer schmeichelnden Bittschrift ähnlich seyn. Denn so wenig als einer, der von jemanden, welchem er eine besondere Ehrfurcht schuldig ist, mit frechen und unverschämten Geberden etwas erbitten wollte, zu seinem Zwecke kommen würde: eben so wenig wird man hier mit einer frechen und bizarren Art zu spielen den Zuhörer einnehmen, erweichen, und zärtlich machen. Denn was nicht vom Herzen kömmt, geht auch nicht leichtlich wieder zum Herzen.

6. §.

Die Arten der langsamen Stücke sind unterschieden. Einige sind sehr langsam und traurig: andere aber etwas lebhafter, und deswegen mehr gefällig und angenehm. Zu beyden Arten trägt die Tonart, in welcher sie gesetzet sind, sehr viel bey. A moll, C moll, Dis dur, und F moll, drücken den traurigen Affect viel mehr aus, als andere Molltöne: weswegen sich denn auch die Componisten mehrentheils, zu dieser Absicht, gedachter Tonarten zu bedienen pflegen. Hingegen werden die übrigen Moll- und Durtöne, zu den gefälligen, singenden, und ariosen Stücken gebrauchet.

Wegen der, gewissen Tonarten, sie mögen Dur oder Moll seyn, besonders eigenen Wirkungen, ist man nicht einig. Die Alten waren der Meynung, daß eine jede Tonart ihre besondere Eigenschaft, und ihren besondern Ausdruck der Affecten hatte. Weil die Tonleitern ihrer Tonarten nicht alle einander gleich waren, da nämlich zum Exempel die Dorische und Phrygische, als zwo Tonarten mit der kleinen Terze, sich dergestalt unterschieden, daß jene die große Secunde und große Sexte, diese aber die kleine Secunde und kleine Sexte in ihrem Bezirke hatte; weil folglich fast jede Tonart ihre besondern Arten zu cadenziren hatte: so war diese Meynung hinlänglich gegründet. In den neuern Zeiten aber, da die Tonleitern aller großen, und die Tonleitern aller kleinen Tonarten einander ähnlich sind, ist die Frage, ob es sich mit den Eigenschaften der Tonarten noch so verhalte. Einige pflichten der Meynung der Alten noch bey: andere hingegen verwerfen dieselbe; und wollen behaupten, daß jede Leidenschaft in einer Tonart so gut als in der andern ausgedrücket werden könnte, wenn nur der Componist die Fähigkeit dazu besäße. Es ist wahr, man hat Exempel davon aufzuweisen; man hat Proben, daß mancher eine Leidenschaft, in einer Tonart, die eben nicht die bequemste dazu scheint, sehr gut ausgedrücket hat. Allein wer weis, ob dasselbe

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Johann Joachim Quantz: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Johann Friedrich Voß, Berlin 1752, Seite 138. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Quantz_Versuch_Fl%C3%B6te_1752_Seite_138.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)