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Noten ausgedrücket sind, und wovon wir weiter unten weitläuftiger handeln werden, kann hierbey zum Muster dienen. Will man den simpeln Gesang davon pur mit dem Zusatze der wesentlichen, schon öfters genenneten Manieren spielen, so hat man noch ein Beyspiel der französischen Spielart. Man wird aber zugleich gewahr werden, daß sie bey einem so gesetzeten Adagio nicht hinreichend ist.

3. §.

Die französische Art das Adagio auszuzieren, kann man durch gute Anweisung, ohne die Harmonie zu verstehen, erlernen. Zur italiänischen hingegen wird die Wissenschaft der Harmonie unumgänglich erfodert: oder man müßte, wie die meisten Sänger nach der Mode, beständig einen Meister zur Hand haben, von dem man die Veränderungen über ein jedes Adagio erlernete; wodurch man aber niemals selbst ein Meister werden, sondern Zeitlebens ein Scholar verbleiben würde. Ehe man sich aber mit der letztern Art einläßt; muß man die erste schon wissen. Denn wer die kleinen Manieren weder am rechten Orte anzubringen, noch gut vorzutragen weis; der wird auch mit den großen Auszierungen wenig ausrichten. Aus einer solchen Vermischung aber von kleinen und großen Auszierungen, entsteht denn endlich der vernünftige und gute Geschmack im Singen und Spielen, welcher jedermann gefällt, und allgemein ist,

4. §.

Daß die französischen Componisten die Auszierungen mehrentheils mit hin schreiben; und der Ausführer also auf nichts weiter zu denken habe, als sie gut vorzutragen, ist schon gesaget worden. Im italiänischen Geschmacke wurden, in vorigen Zeiten, gar keine Auszierungen darzu gesetzet; sondern alles der Willkühr des Ausführers überlassen: da denn ein Adagio ohngefähr also aussah, wie der simple Gesang bey dem Exempel Tab. XVII. XVIII. XIX. Seit einigen Zeiten aber, haben die, welche sich nach der italiänischen Art richten, auch angefangen, die nothwendigsten Manieren anzudeuten. Vermuthlich deswegen, weil man gefunden hat, daß das Adagio von manchem unerfahrnen Ausführer sehr verstümmelt worden; und die Componisten dadurch wenig Ehre erlanget haben. Wie denn nicht zu läugnen ist, daß in der italiänischen Musik fast eben so viel auf den Ausführer, als auf den Componisten; in der französischen aber, auf den Componisten weit mehr als auf den Ausführer ankomme, wenn das Stück seine vollkommene Wirkung thun soll.

Empfohlene Zitierweise:
Johann Joachim Quantz: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Johann Friedrich Voß, Berlin 1752, Seite 137. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Quantz_Versuch_Fl%C3%B6te_1752_Seite_137.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)