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kehrte er in die Stadt zurück, ging aber, weil er einmal auf seine Frau mistrauisch war, nicht gleich zu ihr, sondern zuerst in das Wirthshaus zum goldenen Löwen. Wie er nun mit den andern Tischgästen an der Mittagstafel saß und gerade mit ihnen den Kaffee zum Nachtisch trank, öffnet seine Frau mit dem Körbchen in der Hand die Stubenthür und ruft herein: „Beleiwet Se wat von miener Waare, miene Herrens?“

Der Kaufmann erschrak mächtig, als er ihre Stimme hörte und erkannte, wie er sich umwandte, auch ihr Gesicht noch wieder, obgleich schon manches Jahr vergangen war, denn im Handumkehren erwirbt man keine Schätze in der Welt, wenn man nur fremdes Gut zu verwalten hat und Buchhalter ist. Er stand rasch auf, ging auf sie zu und kaufte ihr etwas ab, flüsterte ihr aber zugleich ins Ohr, daß er ihr noch mehr abkaufen würde, wenn sie am andern Nachmittage ihn allein auf seinem Zimmer besuchte. Er dachte schon daran, sie wieder zu sich zu nehmen als Hausfrau, wenn er sein Geschäft in dieser Stadt wieder eröffnete, und freute sich recht auf ihren Besuch.

Sie erschien auch wirklich mit dem Körbchen, in dem sie ihr Backwerk trug, denn sie hatte im Ernst nur geglaubt, daß er ihr etwas abkaufen wolle. Er fragte hin und her nach ihren Verhältnissen, gab sich aber nicht zu erkennen und schlang endlich den Arm um sie, sie zu küssen. Da verschwand sie rasch von der Stube, und der Kaufmann freute sich, daß seine Frau ihm jetzt so treu war, und beschloß nun sie aufzusuchen und sich wieder mit ihr zu vereinigen. Aber was sieht er, als sie mit ihrem Körbchen über die Straße geht? Da kommt ein schöner blutjunger Herr, dem gibt sie unaufgefordert aus ihrem Korbe Backwerk, das er nicht bezahlt, und dann gibt sie ihm auch noch auf der Straße einen Kuß, scheint ganz verliebt in ihn,

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Heinrich Pröhle: Kinder- und Volksmärchen. Leipzig 1853, Seite 186. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Proehle_Kinder-_und_Volksmaerchen_186.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)