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Rockes wieder auf, nahm ihn heraus, zeigte ihn dem Richter, knackte dann wieder eine Nuß, steckte den Kern wieder in den Busen, schlug sich abermals an die Lenden und fing ihn wieder hinten auf, und so fort, immer Schlag auf Schlag. Darüber lachte der Richter, daß er sich den Bauch halten mußte, und das Mädchen mußte endlich mit ihrem Kunststück aufhören, damit er nicht vor Lachen erstickte.

Unterdessen wälzte die Dritte ein Tönnchen Wein ins Zimmer, hob es auf den grünen Tisch, brachte Flaschen, ein Maß und einen Eimer herbei, nahm auch eine Nähnadel, wo du und ich nicht einmal einen Faden hätten einziehen können, ohne die Spitze am Lichte zu brennen, und was denkst du wol, was sie nun machte? Den Wein ließ sie in einen Eimer laufen, dann hielt sie die Nadel wie einen Trichter über die Flaschen und füllte eins, zwei, drei die ganzen Flaschen durch das Nadelöhr mit Wein, ohne daß ein einziger Tropfen von dem Wein vorbeilief.

Da sann der Richter eine Weile nach und sprach: „Hier ist es sehr schwer, eine Entscheidung zu treffen. Ich gebe aber der Aeltesten von Euch drei Mädchen den Hasen, weil sie zugleich etwas Nützliches mit ihrer Kunst gethan und den Wein bei der Gelegenheit auf Flaschen gefüllt hat. Auch war ihr Kunststück am sinnreichsten, denn ich habe dabei immerfort an den Bibelspruch gedacht: Wahrlich, wahrlich, ich sage Euch, eher wird ein Kameel durch ein Nadelöhr gehen, als daß ein Reicher ins Himmelreich kommt. Hier, nimm deinen Braten, und hier (dabei schenkte der Richter einen Krug voll von dem Wein) das trinke mit deinen Gespielinnen auf meine Gesundheit, und nun haltet Euch brav.“

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Heinrich Pröhle: Kinder- und Volksmärchen. Leipzig 1853, Seite 167. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Proehle_Kinder-_und_Volksmaerchen_167.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)