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38. Die drei Gähner.


Es war einmal eine Frau, welche die Angewohnheit hatte, an jedem Abend erst dann zu Bette zu gehen, wenn sie dreimal vor Müdigkeit hatte gähnen müssen. Diese Frau saß eines Abends an ihrem Spinnrocken, da kletterte ein Dieb am Hause in die Höhe und sah vorsichtig durch die Fensterscheibe, denn er hatte sich mit zwei andern Dieben verabredet, in der Nacht hier einzubrechen. In diesem Augenblicke mußte die Frau zum ersten Male gähnen, und dabei zählte sie und sagte vor sich hin: „Das war der Erste.“ Sie meinte eigentlich, das sei der erste Gähner gewesen, aber der Dieb vor dem Fenster meinte, sie zähle die Diebe, die hier in der Nacht einbrechen wollten, und es sei Alles verrathen. Darum sprang er rasch wieder an dem Hause herunter und lief davon. Nicht lange, so kam der zweite Dieb, kletterte auch an dem Hause in die Höhe und sah ebenfalls durch die Fensterscheibe. In dem Augenblicke mußte die Frau zum zweiten Male gähnen, und da zählte sie wieder und sprach: „Das war der Zweite.“ Da war der zweite Dieb sehr erschrocken, sprang an dem Hause herunter und lief davon. Nach einiger Zeit kam der dritte Dieb, der wollte sich auch vorher überzeugen, wie's in der Stube aussah, kletterte deshalb ebenfalls an dem Hause in die Höhe und blickte durch die Fensterscheibe. Da mußte die Frau zum dritten Male gähnen und da zählte sie: „Das war der Dritte.“ Auch dieser Dieb meinte nicht anders, als daß die Frau die Spitzbuben zählte, die bei ihr einbrechen wollten, und daß das ganze Haus inwendig voll Gendarmen sei, um ihn mit seinen Kameraden in der Nacht zu empfangen. Er sprang

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Heinrich Pröhle: Kinder- und Volksmärchen. Leipzig 1853, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Proehle_Kinder-_und_Volksmaerchen_130.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)