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hintereinander, einige noch ganz hoch und frisch angezündet, andere halb, andere fast ganz herabgebrannt.

„Aber lieber Pathvetter“, sagt der Doctor, „was hast du für eine Menge Lichter! Was brennst du denn so viele Lichter?“

„Das sind Lebenslichter“, sagt der Pathe. „Sieh, jeder Mensch hat so ein Licht. Wenn er geboren wird, so wird es angezündet. Wenn aber das Licht abgebrannt ist, so muß der Mensch sterben.“

„Ei so zeig mir doch auch einmal mein Lebenslicht, ich möchte wol wissen, wie lange ich noch zu leben habe.“

„Das kann ich dir wol zeigen.“

So zeigt er ihm sein Lebenslicht, so brennt das so kleine. Sagt er: „Warum brennt denn das so kleine?“ - „Die da groß brennen, leben lange, die da klein brennen, sterben bald.“

„Pathe, störe[1] mir mein Licht, daß ich noch lange lebe, ich bin ja dein Knecht.“ - „Sohn, das mußt du selbst thun.“ - Also thut der's, da fällt er hintenüber wie ein Huhn und ist todt; er hat's beim Stören versehen und das Licht ausgelöscht.


14. Das weiße Männchen und die Jungfrau.

In einer Waldung wohnte ein Mann, der hatte bei seiner Geburt den Zettel erwischt, wo auf beiden Seiten nichts steht, darum war er sehr arm und mußte im Walde sein Brot suchen. Eines Morgens ging er auch ins Holz, betete und jammerte um seine Nahrung, da kam ein weißes Männchen


  1. Putze.
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Heinrich Pröhle: Kinder- und Volksmärchen. Leipzig 1853, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Proehle_Kinder-_und_Volksmaerchen_059.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)