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Lorenz hungrig am Wasser herunter, und gegen Sonnenuntergang sah er von weitem zwei Jungfern sich baden. Als er näher kam, schaute ihn die eine der Jungfrauen an und sprach: „Der ist unser Erlöser.“ Da fragten sie ihn nach seiner Reise, und er erzählte, daß er darum sich aufgemacht habe, weil der Geist ihm zugerufen habe, er solle König werden. Ehe die Jungfrauen von ihm fortschwammen, sprach die, welche bisher schon das Wort geführt hatte: „Zwei Aufgaben mußt du lösen, dann sind wir erlöst und du wirst König. Sieh her, jetzt werf' ich ein Bund Schlüssel ins Wasser; hole sie wieder vom Grunde hervor, - das ist die erste Aufgabe, welche du lösen mußt.“ Damit waren beide Jungfern verschwunden. Lorenz stand staunend am Wasser und hielt es für unmöglich, daß er hinab könne, um die Schlüssel zu holen. Plötzlich aber kamen viele Enten an und fragten, warum er so traurig wäre. Da sagte er: Ach, er könne vor Hunger und Traurigkeit kaum mehr reden; doch möchten sie das Bund Schlüssel heraufholen, das die Jungfer ins Wasser geworfen habe.

Da verschwanden die Enten, und bald kam eine von ihnen wieder mit dem Bund Schlüssel empor. Das brachte sie Lorenz und bedankte sich noch bei ihm, daß er sie vorher nicht geschossen hatte. Als Lorenz die Schlüssel in der Hand hielt, stieg sogleich ein Schloß aus dem Wasser empor und stand gar stattlich am Ufer. Und als Lorenz auf das Schloß zuging, kam die zweite der nackten Jungfern. Sie schüttete tausend Scheffel Rübensamen vor dem Schlosse umher und sagte, wenn er die in einen Sack zusammengesucht hätte, so möge er die Schlüssel in das Schloß stecken. Da war die Jungfer verschwunden und Lorenz hatte noch immer nichts gegessen. Er rang seine Hände und warf sich vor Hunger auf der Erde umher. Plötzlich erschienen viele, viele Ameisen und die eine fragte, was ihm fehle. Lorenz erzählte, daß

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Heinrich Pröhle: Kinder- und Volksmärchen. Leipzig 1853, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Proehle_Kinder-_und_Volksmaerchen_031.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)