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Marie Petersen: Prinzessin Ilse

ungefährdet neben der Giebelseite des neuen Hauses stehen geblieben. – Der Tannenbaum lächelte trübe und sagte: „Jetzt kommt die Cultur, kleine Ilse, da wird die Freiheit und Ruhe in unserem schönen Walde gar sehr beschränkt werden.“ „Die Cultur!“ seufzte die kleine Ilse, „ach, daß Gott erbarm! die ist gewiß vom Teufel. Wer so viel liebe Gottesbäume zu Boden schlägt und ihnen die Rinde abzieht und sie in Stücke schneidet, – der kann doch nichts Gutes im Sinn haben.“ – „Armes Kind“, sprach darauf lächelnd der Tannenbaum, „was würdest du erst sagen, wenn du die Enkeltochter der Cultur, die Industrie, kennen lerntest, die eine Schatzgräberin ist, den Boden nach Gold durchwühlt und auch die letzten Bäume nicht schont, wo sie ihr im Wege stehen?! Die rottet die Wälder aus, und baut Runkelrüben und große steinerne Häuser mit langweiligen, himmelhohen Fabrikschornsteinen. Wo sie einzieht, da hat die Poesie ein Ende.“ Die kleine Ilse faltete die Händchen und sah so sehr verängstigt aus, daß der Tannenbaum wieder sagte: „Sei unbesorgt, Kind, das hat noch lange, lange Zeit, ehe die Industrie uns nahe kommen kann. In die Berge traut sie sich überhaupt nicht leicht, paßt besser für’s flache Land, und wir wollen den lieben Gott bitten, daß Er unser stilles Thal vor ihr bewahre. Die Cultur ist aber eine getreue Dienerin des Herrn, bringt Segen und Wohlstand und Gotteswort mit sich, wo sie friedlich einzieht. Hörst du nicht das Glöcklein Abends und Morgens aus dem Thal herauf tönen? Da hat der Kaiser die Burg drunten am Ausgang des Thals einem ehrwürdigen Bischof geschenkt, der ließ nun fromme Mönche dort einziehen und dieselbe in ein Kloster umschaffen; und in ihrem Dienst sind auch die Leute gekommen und haben sich hier angebaut.“

Die kleine Ilse hatte Alles begriffen und schon wieder mehr Zutrauen zu den

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Marie Petersen: Prinzessin Ilse. Alexander Duncker, Berlin 1857, Seite 39. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Prinzessin_Ilse_(Marie_Petersen).pdf/42&oldid=- (Version vom 1.8.2018)