Seite:Prinzessin Ilse (Marie Petersen).pdf/28

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Marie Petersen: Prinzessin Ilse

genug ausplaudern, wo ich hin gelaufen.“ – Und sie duckte sich und schlich gebückt unter den Steinen dahin, und kam nur ab und zu hervor und trank ein Schlückchen Morgenluft.

Zwischen hohen, bewaldeten Bergrücken senkte sich eine tiefe, dunkelgrüne Schlucht allmälig absteigend zum Thal hinab, und da war die kleine Ilse blindlings hinein gelaufen. Zahllose Steine waren von den Bergen bröckelnd im Grunde der Schlucht über einander gerollt und lagen dort von Tannenwurzeln umkrallt, von Moos überwachsen, sahen sehr finster und ehrwürdig aus und schienen gar nicht gesonnen, der kleinen Quelle aus dem Wege zu gehen, die so hastig und unbedacht auf sie los gesprungen kam. Der liebe Herrgott hatte sich der armen, kleinen Ilse erbarmt, als sie, von Angst gejagt, über die Steine dahin schoß, und hatte dem Wald erlaubt, ihr seine grünen Thüren zu öffnen und sie in seinen Schutz zu nehmen. Der Wald ist eine heilige Zufluchtsstätte für verirrte Kinder, die draußen in der Welt Böses gethan oder Böses gedacht. Keines von den Teufelchen, die in junge Seelen fahren, kann mit hinein in die friedliche Waldesstille; – das Hochmuthsteufelchen bleibt am allerersten draußen, – und wie sollte das auch bestehen können vor der ernsten Hoheit des Waldkönigs, des Tannenbaums, der sich Nichts einbildet auf die Kraft und Herrlichkeit, die Gott ihm gegeben, der, sein hehres Haupt unverrückt zum Himmel gerichtet, während die Wetter ihn umtosen, fest und unveränderlich auf dem Platze steht, auf den der Herr ihn gestellt, und lieber sterbend zusammenbricht als sich beugen läßt, – so recht ein König von Gottes Gnaden!

Das Ilsenkind verstand das freilich noch nicht; das meinte, die Tannenwurzeln schnitten ihm gräuliche Gesichter, und es huschte scheu daran vorüber und floh tiefer

Empfohlene Zitierweise:
Marie Petersen: Prinzessin Ilse. Alexander Duncker, Berlin 1857, Seite 25. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Prinzessin_Ilse_(Marie_Petersen).pdf/28&oldid=- (Version vom 1.8.2018)