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guten Obstes herangezogen und ausgepflanzt, sondern die Wissenschaft hat auch ein schließliches Resultat über die uns vorliegende Frage noch nicht gezogen, welche durch die bisher gemachten Erfahrungen zu einer genaueren Beantwortung erst jetzt reif zu seyn scheint, und daher wohl zur Besprechung in einem Archive für die gesammte Obstkunde sich eignet. Ich will mich bemühen, die Materialien, die ich seither, zur Beantwortung der in Vorwurf genommenen Frage, gesammelt habe, zur Begründung eines sichern Resultates zusammenzustellen, und hoffe, daß selbst diejenigen, die mit mir im Voraus entschieden gegen die Anzucht ungeimpfter Sämlinge stimmen, den nachstehenden Untersuchungen nicht ohne Theilnahme folgen werden, die an manche wichtigere Fragen der Pomologie und Pflanzenkunde hinleiten, und wissenschaftliches Interesse stets behalten.

Es wird zweckmäßig seyn, eine historische Uebersicht der Entstehung und allmäligen Entwicklung unserer streitigen Frage voranzuschicken, um uns dadurch auf den zur Beurtheilung derselben angemessenen Standpunkt zu stellen.

Die Obstbaumzucht begann im grauen Alterthume, wie es nicht anders seyn konnte, mit der Anpflanzung unveredelter Sämlinge. Man brachte die Kerne von dem in den Wäldern vorgefundenen wilden Obste in einen guten Boden, oder sie erwuchsen durch Zufall darin, und so erhielt man nach und nach bessere Sorten, die um so mehr zum Obstbau ermunterten. Dabei war aber auch schon in den ältesten Zeiten die Kunst, junge Stämme zu veredeln, bekannt, auf die vielleicht ein Zufall leitete, die aber bald allgemeiner wurde, indem man gute Sorten zu erhalten wünschte, und schon früh bemerkte, daß die aus Kernen der besseren Obstsorten gezogenen Bäume nicht eben solche und eben so gute Früchte wieder lieferten, als die Muttersorte trug.

Schon Aristoteles gedenkt des Pfropfens[1], Palladius beschreibt das Copuliren[2], und Columella kennt schon drei Arten künstlicher Fortpflanzung, zwei Arten des Pfropfens und das Oculiren[3]. Man suchte die Obstsorten auch wohl durch bloßen Samen fortzupflanzen, was man daraus schließen mag, daß Columella (de re rustica V. 10.) angibt, wie dazu der Same beschaffen seyn müsse, und daß Plinius schon eine sehr beträchtliche Anzahl von Spielarten des Obstes kannte; aber man zog die künstliche Vermehrungsart vor, ja man erfand schon früh alle späteren Künste der Veredlung. Man pfropfte die Obstsorten nicht nur auf die allerverschiedensten Unterstämme, indem man hoffte, andere und bessere Früchte dadurch zu erzielen, sondern Plinius erzählt auch von einem Baume, welchen er gesehen habe, der

allerlei Arten von Obst getragen habe[4].


  1. Aristot. de plantis II. 6.
  2. Pallad. de re rustica Lib. IV. Tit. X.
  3. Columella de re rustica, liber de arboribus c. 26.
  4. Historia naturalis XVII. 26. „Tot modis insitam arborem vidimus juxta Tiburtes Tullias, omni genere pomorum onustam[WS 1] alio ramo dulcibus, alio haccis, aliunde vite, ficis, piris, Punicis malorumque generibus.“ Es klingt dies, nach den neueren Erfahrungen über die Thunlichkeit des Pfropfens auf Stämme ganz anderer Baumarten, fabelhaft, und war Manches dabei wohl nur angebrachte Täuschung, oder Uebertreibung von Plinius Seite, beim Niederschreiben nach späterer Erinnerung. Trug der Baum, den Plinius sah, vielleicht nur verschiedene Arten des Kernobstes, war also ein Probebaum, wie man sie jetzt hat?

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: insitum […] onustum (vgl. Anzeige von Druckfehlern)
Empfohlene Zitierweise:
Ed. Lucas, J. G. C. Oberdieck (Hrsg.): Monatsschrift für Pomologie und praktischen Obstbau I. Franz Köhler, Stuttgart 1855, Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Pomologische_Monatshefte_Heft_1_139.jpg&oldid=- (Version vom 8.5.2018)