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Ferdynand Antoni Ossendowski: Schatten des dunklen Ostens

In den Städten ist es nicht anders.

Ich behaupte ruhig, daß in Petersburg und Moskau jede Straße ihren Wahrsager versteckt hält.

Neben den vielen kleinen Wahrsagern, die eine große Klientel und einen ebenso großen Verdienst besaßen, gab es solche von großem Ruf, deren Wohnungen mit den schreiendsten orientalischen Draperien und Teppichen zum Zwecke der Stimmungsmache behängt und auch sonst noch mit ausgestopften Eulen, Schlangen, Eidechsen, Fledermäusen usw. angefüllt waren.

Hier fand sich dann die einfache Frau aus dem Volke, der dicke Fleischhauer, der blasse Arbeiter, die zweideutige Dame und die beste Gesellschaft ein, um geduldig zu warten, bis die Reihe an sie gekommen.

Es war dies eine Manie, eine Krankheit, eine Verirrung, man könnte sagen ein Wahnsinn, wofür die Gründe nur in den Tiefen der russischen Seele zu finden sind.

In Moskau war das sogenannte arabische Wahrsagen aus dem Kaffeesatz in Mode. Im Palais des Grafen Kleinmichel, während des Verfalles von Romanows Dynastie, grübelte man fieberhaft dieser arabischen Wahrsagerei nach.

Man glaubte absolut, aus der Oberfläche des schwarzen, dicken Kaffeesatzes, der bekanntlich schillernde Figuren zeichnet, das Los des Zarenhauses ergründen zu können.

Ein einziges Mal war ich im Kreise von Aristokraten und hohen Beamten Zeuge einer solchen Wahrsagerei.

Eine Lampe mit dichtem, tiefem Schirm erleuchtet nur matt ein Boudoir.

Die bekannte Wahrsagerin „Galesco“, eine Rumänin, prüft lange die Oberfläche des in drei Tassen verteilten Kaffeesatzes.

Manchmal bläst sie leicht in den Inhalt oder bewegt mit dem Fächeln einer langen, schwarzen Feder den Kaffeesatz und dabei flüstert sie immer beschwörend und unverständlich vor sich hin.

Nach langer Zeit fängt sie zu reden an.

Sie spricht, als erkläre sie mühsam eine geheime Schrift.

Nach langer Prüfung schüttet sie den Kaffee in eine weiße, flache Vase um, gibt Kräuter in kleinen Mengen dazu und fängt wieder an zu blasen und den Kaffee mit der schwarzen Feder zu berühren.

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Ferdynand Antoni Ossendowski: Schatten des dunklen Ostens. Eurasia, Wien 1924, Seite 30. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ossendowski_-_Schatten_des_dunklen_Ostens.djvu/34&oldid=- (Version vom 15.9.2022)