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noch Einen mit hinüber in’s Schattenreich nimt, und sich eine prominente Persönlichkeit aussucht – denn was ist es anderes vor versammeltem Volk Einen niederstossen, als: auf’s Schafott gehen, und den Niederzustossenden mitnehmen? – und verschreibt Ströme von Tinte und badet Euch in sitlicher Druckerschwärze? – Hat Einer von Euch Lohnschreibern jemals den Gedanken erwogen: Dass Einer, der seinen Kopf freiwillig hinlegt und sich aufopfert, wenigstens in diesem lezten Moment das Recht haben muss, seinen Idealismus durch irgend einen Akt, in irgend einer Form, zu manifestiren. Und Idealismus ist doch der „Anarchismus“. Gesteigerter, potenzierter Idealismus. Eine idealistische Tat, gegen die aller Idealismus unserer Dichter und Denker schlechtes Talmi ist – den wer gienge für sein Epos oder für sein filosofisches Sistem, ausser vielleicht Sokrates, auf’s Schafott? – gegen den aber aller Strassen-Idealismus des meisten Menschenpaks, – Zeitungsschreiber inbegriffen – eine abgeleierte Opernmelodie genant werden muss. Also statt in sitlicher Drukerschwärze zu machen, tätet Ihr wahrhaftig besser, gesünder und ehrlicher handeln, Euren Lesern offen zu bekennen: Allerdings, wer seiner Ueberzeugung auch sein Leben zum Opfer bringt, gegen dessen schrankenlosen Idealismus können wir nicht aufkommen. Wir können nicht heute in der Schule lehren, dass Mucius, Skävola, Wilhelm Tell, Harmodios und Aristogeiton, die Mörder des Tirannen Hipparchos, Brutus u. a. Helden waren und unsere Gimnasiasten mit dem sitlichen Rot auf den Wangen ihr „trecenti nos conjuravimus!“ deklamiren lassen, und morgen in die Zeitung schreiben: die Ravachol, Wera Sassulitsch, Caserio u. a. seien gemeine Mordbuben. Aut, aut! Caserio hatte den Zunamen Santo. Mit Recht! Wer sein Leben für seine Idee hingiebt, ist immer ein Heiliger, ein von seiner Idee Besessener, heisse er Hödel, Kullmann, Nobiling, Sand, Charlotte Corday, Huss, Giordano Bruno, oder Arnold von Brescia.