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daß in den Thalorten bis unlängst Todesfälle auffallend häufig genannt wurden, welche durch Sturz vom „Oberling“ in der Scheune und von Tannen beim „Nesteln“ oder Streuablösen herbeigeführt werden.

Was die moralischen Eigenschaften und die Lebensweise[1] des Volkes betrifft, so sind dieselben nach der geographischen Lage verschieden. Von der Nordseite die ganze Lein entlang, ragt das Limpurgische herein: ein mehr fränkischer als schwäbischer Schlag, lustiger, verschlagen, gefälliger und gewandter von jenseits, offener derber, verlässiger diesseits. Genußsucht und ein gewisses Mißtrauen gegen „Herren“ haben sie gemeinschaftlich. Wohl zu unterscheiden sind überall die eigentlichen Bauern auf ihren Höfen – einzelnen sowohl als geschlossenen in Dörfern. Sie bilden eine entschiedene Dorfaristokratie. Ihre Söhne, zumal die erstgebornen, sind stolz und ebenso kommt seltener eine ihrer Töchter zu Fall. Die ansiedelnden Taglöhner und die Familien der nachgebornen Kinder bilden die zweite Klasse der Bevölkerung. Die Ehen erstgeborner Kinder sind eine nahmhafte Angelegenheit des Ortes; die Eltern bringen große Opfer, den Hofnamen zu erhalten, lassen sich zuweilen „Ausgedinge“ oder „Leibgedinge“ gefallen, welche ihre eigene Selbstständigkeit kosten und sie nicht selten zu beklagen haben, wenn der Altvater nicht zuvor in dem Gemeinde- oder Stabs-Rath seinen Sitz hat. Die Hof- und Haus-Namen stehen so sehr in Ehren, daß sie den Geschlechtsnamen oft fast ganz verdrängen, indem der neue Besitzer vom Hofe genannt wird. Es ist noch meist eine demokratische Oligarchie durchfühlbar – die Hofbauern sind die Tonangeber, die andern ihre Taglöhner; Handwerker und Wirthe flattiren diesen bäurischen Edelleuten, die zuweilen „ganze Wälder verschlucken.“ Auf seinen Wald nämlich hat der Bauer auf dem Walde den größten Stolz – „’s reißt da Waald noch net ei!“ – Dieser Stolz ist aber der Gesittung weniger nachtheilig, als man glaubt; ihm liegt ein entschiedener Wohlstand zu Grund, den wir in den Thalorten und in jenen Waldorten, wo die Zerstückelung der Höfe häufiger ist, nicht finden. Genußsucht ist allgemein. Wenn der Säugling am Tage oder gleich nach dem Tage der Geburt, selbst im strengsten


  1. Nach einer trefflichen Schilderung des Herrn Pfarrer Scholl in Alfdorf, die wir leider der Raumersparniß wegen abkürzen mußten. Soweit nicht das Gegentheil bemerkt, bezieht sich die Mittheilung hauptsächlich auf die Waldorte; die nicht minder schätzenswerthen Nachrichten über die Thalorte, welche hier mitverbunden werden, verdanken wir der Güte des Herrn Pfarrer Meyer in Lorch.
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Rudolph Friedrich von Moser: Beschreibung des Oberamts Welzheim. J. G. Cotta, Stuttgart und Tübingen 1845, Seite 037. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Oberamt_Welzheim_037.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)