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Landvolk ißt viel und oft (des Tages fünfmal regelmäßig), liebt übermäßig fette Speisen und genießt sie fast siedend heiß. Von Pflanzenspeisen kennt man fast nur Sauerkraut, das beinahe täglich genossen wird. Ausserdem sind der Mehlbrei, der bei kleinen Kindern die Stelle der Muttermilch vertreten muß, und eingesalzenes oder geräuchertes Fleisch die Hauptnahrungsmittel. Schlecht gebackenes, zu stark gesäuertes Roggenbrod, viel und schlechter Branntwein und ein sehr geringes Weißbier, das der Bauer häufig selbst braut, tragen ebenfalls das ihrige zu den genannten Übeln bei. Nicht selten sind, besonders in der nördlichen Gegend, Fälle von Geistesstörung. Als Epidemien traten (nach dem Bericht des Herrn Oberamtsarztes Dr. Fricker) in den letzten 12 Jahren das Nervenfieber und die Masern wiederholt, die Pockenkrankheit, das Scharlachfieber, der Keuchhusten, die Ruhr und die Influenza auf, ohne jedoch einen bedeutenden Grad von Intensität und Ausdehnung zu erreichen. Groß ist die Sterblichkeit unter den Kindern in den ersten Jahren, s. oben.

Was die moralischen Eigenschaften betrifft, so sind Religiosität, Gutmüthigkeit, Arbeitsamkeit im Ganzen vorherrschend. Die Wohlhabendern sind genußliebend aber dabei freigebig gegen Nothleidende. Durch Biedersinn und Redlichkeit sind besonders die Allgäuer oder die Bewohner der ehemaligen Freigemeinden ausgezeichnet. Auch hier ist die Geneigtheit, gestörte Rechtsverhältnisse auf gütlichem Wege wiederherzustellen, ziemlich allgemein. In dieser Beziehung machen nur einige standesherrliche Gemeinden, z. B. Wurzach, Thannheim u. a. eine Ausnahme. Die Volksbelustigungen sind die in Oberschwaben gewöhnlichen Freischießen, Kegelspiel (wohin auch das diesem Bezirk mehr eigenthümliche Mädchen-Kegelschieben gehört), die Mahlzeiten und Tänze nach beendigter Ernte, die Flegelhenken, und die ziemlich luxuriösen Hochzeiten und Hochzeitschenken. Der sogenannte Festwein nach den Sponsalien und der „Abdanker“ spielen bei den Hochzeitfeierlichkeiten eine

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Beschreibung des Oberamts Leutkirch. Stuttgart und Tübingen: Cotta. 1843, Seite 042. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Oberamt_Leutkirch_042.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)