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durfte. Die Kellerei erhielt den Auftrag, ihm einen Schlafrock machen zu lassen, und da er durchaus keinen lebenden Menschen sehen durfte, so wurde es auch für unnöthig erklärt, daß er rasirt werde. Rieger war sehr niedergeschlagen, zitterte und sprach kein Wort. Am 31. März 1763 berichtete General Roman, daß Rieger beim Essenhinunterlassen (wobei der Kommandant immer zugegen sein mußte), Ach und Weh heraufgerufen, er bäte demüthigst, zu erlauben, daß ihm das heilige Abendmahl gereicht werden dürfe, weil er an Verstandeskräften Abnahme verspüre und besorge, er möchte zu anderer Zeit nicht mehr dazu geschickt sein. Auch klagte er über das Verwachsen der Nägel an Händen und Füßen, so daß er kaum mehr stehen könne. Der Herzog genehmigte am 9. April 1763, daß Rieger in Gegenwart des Generals seine Andacht verrichte und sich zuvor, ebenfalls in Gegenwart des Generals, die Nägel an Händen und Füßen schneide. Nicht lange darauf, am 30. April, meldete der Kommandant weiter, daß Rieger im verflossenen Monat sehr geklagt habe: „er schreit und betet, doch hört man nichts Rachgieriges. Einmal seufzte er sehr und sagte, er verliere seine Sinne merklich; er rufe zwar zu Gott, aber es kämen ihm allerlei Gedanken ein, er schrie und sagte mit erschrecklicher Heftigkeit, er müsse verzweifeln und die Stunde seiner Geburt verfluchen u. s. w.“ Am 30. Nov. desselben Jahres, berichtete der Kommandant dem Herzog die dringende Bitte Riegers, daß ihn der Herzog doch zum Tode verurtheilen möchte, worauf aber der Herzog erwiderte, daß diesem wunderlichen Geschwätze keine Aufmerksamkeit zu schenken sei. Ein Jahr und vier ein halb Monate hatte schon dieser gräßliche Zustand gedauert, als sich endlich der Herzog doch bewogen fand, am 21. April 1764 eine Erleichterung in der Haft des Obersten v. Rieger zu verfügen. Er durfte von nun an wöchentlich zweimal die Wäsche wechseln und einmal rasirt werden, auch das Essen durch die Thür erhalten, ferner wurde dem Geistlichen gestattet, jeden Sonntag zu ihm zu kommen, aber alles dieses stets in Gegenwart des Kommandanten. Zwei Jahre später, am 16. April 1766, befahl der Herzog, daß dem Gefangenen Rieger alle thunliche Erleichterung verschafft werde, und daß er seinen Verwandten schreiben dürfe; doch mußten sowohl die ankommenden, als die abgehenden Briefe stets vom Kommandanten gelesen werden. Endlich ertheilte der Herzog am 27. Dez. 1766 den Befehl zur Entlassung des Obersten von Rieger aus dem Arreste. 1

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Karl Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Tuttlingen. H. Lindemann, Stuttgart 1879, Seite 574. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OberamtTuttlingen0574.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)