Seite:OberamtTuttlingen0130.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Max Schneckenburger aus Thalheim (s. Thalheim), hat diesen erst 20 Jahre nach seinem Tode gewonnen, und er selber wünscht bei der Veröffentlichung seines Hauptgedichtes (in Nr. 51 des Tuttlinger Grenzboten von 1840) nur, daß seine Zeilen wenigstens im nahen Kreise jene Sympathie für die Sache des geliebten Vaterlandes finden möchten, die das Becker’sche Lied: der deutsche Rhein, in allen Gauen unserer großen Heimat geweckt hat und die in Zeiten der Noth und Gefahr das deutsche Volk erst wahrhaft stark, mächtig und unüberwindbar machen wird. So war es auch bei ihm mehr die Gesinnung, der Charakter, als die Naturgabe, was ihn zum Dichter gemacht hat. Dagegen sein Bruder Matthias Schneckenburger (s. Thalheim) ist der zugleich scharfsinnige Vertreter des schwäbischen theologischen Tiefsinns, der in dem Neuhauser Pfarrerssohn Dorner mit norddeutscher Gründlichkeit sich verbindet. Auch einzelne tüchtige Mathematiker, Ärzte, Ingenieure sind dem Tuttlinger Boden entsprossen (s. Tuttlingen, Mühlheim, Thuningen). Der religiöse Sinn zeigt sich bei beiden Konfessionen durch Werthschätzung des kirchlichen Lebens in Wort und Sakrament, durch ein meist geordnetes Familienleben, durch Pietät gegenüber der Obrigkeit ohne Servilität, wofür auch das einzige politische Blatt des Bezirks seit bald 50 Jahren Zeugnis gibt. Auch hier aber tritt die äußere Erscheinung gegen den inneren Gehalt zurück und dürfte für kirchliche Kunst im weiten Sinne des Worts mehr geschehen. Das Bedürfnis nach Privaterbauung nimmt nur vereinzelt einen sektirerischen Charakter an und es wäre wohl zu wünschen, daß die christlichen Geistesgaben auf dem Felde der Bruderliebe noch weiter entwickelt und organisirt würden, als bisher in der Tuttlinger Rettungsanstalt für verwahrloste Kinder, in Kleinkinderpflegen und sonst geschehen. – Das weite Gebiet der Sitte schließt bei unserer bäuerlichen Bevölkerung fast das ganze Gemüths- und Geistesleben ein. Nirgends bewährt sich Tacitus Scharfblick besser als in dem Wort, daß bei den Deutschen die Sitte mehr wirke, als anderwärts das Gesetz. Sie ist unseren Bauern ein Stück seiner Religion, wenn wir auch nicht mit Riehl sagen möchten, daß beides ganz zusammenfalle. Zur Sitte dürfen wir vor allem die Sprache rechnen, den treu bewahrten alten Dialekt. Fassen wir seine Eigenthümlichkeit, seinen Werth in’s Auge, so finden wir zuerst, daß er etwas Melodiöses hat, herabsetzend wohl auch als „Singen“ bezeichnet, sodann daß in ihm viel gemüthlicher Ausdruck liegt, namentlich auch schon bei Kindern,

Empfohlene Zitierweise:
Karl Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Tuttlingen. H. Lindemann, Stuttgart 1879, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OberamtTuttlingen0130.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)