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Malaria kommt ganz wenig im Bezirk vor; in Tuttlingen wird sie in feuchten Jahrgängen entlang der am Seltenbach gelegenen Wohnungen bisweilen beobachtet, aber meist in den larvirten Formen, am häufigsten als Neuralgie des Trigeminus, meist als intermittirende Supraorbital Neuralgie mit deutlichem Milztumor.

Von allgemeinen Ernährungsstörungen kommt sehr häufig vor die Chlorosis, sowohl in der Stadt als auf dem Lande. Dieselbe disponirt beim weiblichen Geschlecht vorzugsweise zur Lungentuberkulose.

Scorbut ist noch nie beobachtet worden. Der Morbus maculosus Werlhofii ist in einzelnen, sehr seltenen Fällen vorgekommen. Die Scrophulose ist in allen ihren Formen häufig. Dagegen selten der Diabetes mellitus.

Von Hautkrankheiten kommen akute Exantheme nicht häufig zur Beobachtung. Dagegen ist die Krätze eine im ganzen Bezirk sehr häufige Krankheit, namentlich unter den zahlreichen Schustergesellen der Oberamtsstadt. In den letzten 5 Jahren waren 13–25 % sämmtlicher Erkrankten im Dienstbotenkrankenhaus krätzig.

Von Krankheiten der Luftwege sind die katarrhalischen Affektionen Laryngitis und Bronchitis in den Übergangsjahreszeiten bei der hohen rauhen Lage des ganzen Bezirks natürlich sehr häufig. Dagegen ist nicht so häufig die Lungenentzündung (Pneumonia crouposa) und die Brustfellentzündung; am häufigsten sind die Lungenblutungen, die chronische Spitzenpneumonie und die chronische Lungentuberkulose. Die beiden letzteren kommen in den Thalgegenden wie auf den höchsten Höhen des Heubergs, in Kolbingen, Renquishausen und Irrendorf vor. Schlechte Ventilation in den engen, niedrig gebauten Wohngelassen mit feuchten Mauern, besonders im Winter, scheint trotz der guten frischen Luft, die auf diesen Höhen herrscht, der Vererbung der Krankheit von einem Individuum auf das andere den meisten Vorschub zu leisten. Bemerkenswerth ist, daß auf den Verlauf der Krankheit die hohe Lage der Orte (über 800 m) einen wesentlichen Einfluß hat. In kalten, trockenen Wintern, wenn die Kälte länger anhält, befinden sich die Schwindsüchtigen auf dem Heuberg so wohl wie in den hochgelegenen Luftkurorten Graubündtens. Das Lungenemphysem kommt ziemlich häufig vor, die Leute werden aber dabei alt, namentlich befinden sie sich wohl in kalten trockenen Wintern.

Empfohlene Zitierweise:
Karl Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Tuttlingen. H. Lindemann, Stuttgart 1879, Seite 125. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OberamtTuttlingen0125.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)