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unpassenden Nahrung und in der mangelhaften Pflege der Kinder findet, theils in dem weit verbreiteten Glauben, daß bei Kinderkrankheiten ärztliche Hilfe nicht viel ausrichten könne. Ein Zug zum Besseren zeigt sich jedoch seit einigen Jahren, indem die Ernährung durch Muttermilch mehr und mehr Eingang und Verbreitung findet. Das Impfwesen ist in geordnetem Zustande und findet keinen Widerstand; auch die Revaccination wird in den meisten Orten vorgenommen.

Die Lebensweise der Landleute ist im allgemeinen einfach, nüchtern und der Wirthshausbesuch nicht bedeutend, auf dem Herdtfeld sogar meist nur an Sonn- und Festtagen. Die gewöhnlichen Nahrungsmittel bestehen in Mehl- und Milchspeisen, Kartoffeln, Sauerkraut. Milch wird viel genossen, auf dem Herdtfeld jedoch meist süße, weniger gestandene. Eine besonders beliebte Speise sind die sog. Nudeln (eine aus Mehl, Milch und Schmalz gebackene Speise), die beinahe täglich zu jeder andern Speise auf den Tisch kommen und zuweilen sogar in das Weißbier gebrockt werden; sie führen je nach ihrer Form besondere Benennungen, wie Wespenstecher, Bruckhölzer, Sperrhacken, Stangennudeln etc. Fleisch kommt selten, meist nur an Sonn- und Festtagen, sowie bei Hochzeiten und Kirchweihen auf den Tisch. In der Riesgegend werden – neben dem Kraut – viele Sommerrüben gebaut und den ganzen Herbst über gespeist, auch eingehobelt und mit Salz eingemacht und so den Winter über gekocht. Wein wird meist nur bei festlichen Gelegenheiten getrunken; das Hauptgetränke ist Bier, früher hauptsächlich weißes Bier, jetzt nur im Sommer zur Erntezeit. Branntwein wird im allgemeinen nicht viel getrunken und eigentliche Gewohnheitssäufer giebt es sehr wenige.

Was den moralischen Charakter der Bezirkseinwohner betrifft, so haben die Herdtfelder und die Rieser gleich anderen Menschen auch ihre Fehler, im Ganzen aber sind Fleiß, Sparsamkeit, Nüchternheit, religiöser und Wohlthätigkeitssinn hervorragende Eigenschaften der Masse. Besonderen Fleiß hat auf dem Herdtfeld das weibliche Geschlecht; es unterzieht sich den schwersten Arbeiten, die in anderen Gegenden nur von den Männern verrichtet werden, dafür hat es nach dem Sprichwort meist auch die „Hosen“ an. Offene Widersezlichkeiten und persönliche Rohheiten kommen selten vor. Der Herdtfelder zieht die Heimath allem vor; er arbeitet gerne auswärts, wenn er nur Abends wieder unter eigenem Dache sein kann und da auf der „Bruck“ ruhend die sog. „Hoirlesgesellschaft“ plaudernd um sich hat, während Mutter und Tochter spinnt und spult. Der ackerbautreibende Theil der Bevölkerung zeigt solidere Eigenschaften in physischer und moralischer Beziehung und steht auch finanziell besser als die Bewohner der Orte mit Kleingewerben, die dem augenblicklichen Genusse und Vergnügen mehr opfern als für ihr Alter und für die Zukunft ersprießlich ist. In geistiger Beziehung stehen die

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Karl Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Neresheim. H. Lindemann, Stuttgart 1872, Seite 81. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OberamtNeresheim0081.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)