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Leder, Wollentuch kamen. Verbindlichkeiten in Nürnberg deckte Graf Wolfgang gewöhnlich durch dahin verkaufte Weine. Die ganze Jahresrechnung 1576 mit dem Nürnberger Agenten beträgt 412 Gulden; bei den Papieren liegen Brieflein von dortigen Handwerkern, so hübsch und richtig geschrieben, wie man heute bei dergleichen Männern selten findet. Von Graf Wolfgangs sorgfältiger Aufsicht über die ganze Hofhaltung zeugen seine Burg-, Vogt-, Edelknaben- und Lakaienordnungen. Der Burgvogt war Haushofmeister, mit der Leitung der ganzen Hofhaltung betraut, und zugleich Privatsekretär des Grafen. Mit dem Muthwillen der Edelknaben, neben welchen es einen von denselben viel geplagten Narren und einen Zwerg am Hof zu Weikersheim gab, hatte der Graf seine liebe Noth. Er ließ dieselben bei der Aufnahme eine Prüfung erstehen, und sie genoßen den Unterricht der Präzeptoren oder Hofmeister mit seinen Söhnen. Da kam es denn vor, daß sich bei den jungen Leuten mehr Neigung zum Reiten, als zum Studiren zeigte. Der Lakai des Grafen war vom Schneiderhandwerk. Gleich vielen Männern seiner Zeit aus allen Ständen war Wolfgang ein Jünger der Kunst, die den Stein der Weisen finden wollte. Er hatte in Weikersheim ein Laboratorium eingerichtet, in welchem er alchymistischen Studien und Experimenten oblag, und es finden sich in seinen Schreibkalendern aus verschiedenen Jahren Notizen darüber. In seinem letzten Lebensjahrzehnt hatte er noch den Schmerz, seinen Sohn Ludwig Kasimir bei Vertheidigung der von den Türken belagerten Festung Gran in Ungarn zu verlieren (16. Sept. 1604) und die Leiche, welche über Hamburg in die Heimat verbracht wurde, in Weikersheim beisetzen zu müssen (13. März 1605). Die letzte Urkunde, welche der treffliche Regent am Tage vor seinem Tode, 28. März 1610, unterzeichnete, war die Befreiung der Einwohnerschaft seiner Stadt Weikersheim von der Leibeigenschaft gegen eine runde Summe von 1400 Gulden, welche die Gemeinde zu verzinsen hatte, bis Graf Karl Ludwig ihr 1724 das Kapital schenkte. Schon 1603 hatte Wolfgang in der Stadtkirche ein Denkmal aus Alabaster für sich zurichten lassen. Sein dauerndstes Denkmal aber bildet das Wort, das er einst in einem Mißjahr an Hilfesuchende richtete: „Seid getrost, liebe Leut’, ich will euch nichtsdestoweniger noch mit Frucht aushelfen. So lang ich hab, sollt ihr auch haben.“ Oft rief er arme Unterthanen, die am Schloß erschienen waren, Bittschriften abzugeben, vom Fenster zu sich herauf. 1

Empfohlene Zitierweise:
Julius Hartmann, Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Mergentheim. W. Kohlhammer, Stuttgart 1880, Seite 803. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OberamtMergentheim0803.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)