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durch das ganze Dorf geleitet werden kann. Er gehört der Ortsgemeinde Wüstenroth und ist für Fischzucht – vorzüglich mit Karpfen, Hechten etc. – zu deren Gunsten verpachtet.

Die Einwohner sind im Allgemeinen gesunde, kräftige Leute, frei von dem sog. Verbutten, welches die schwere Arbeit in den Weinbergen mancher anderer Bezirksorte mit sich führt. Von Cretinismus fand Dr. Rösch im Jahre 1844 hier keine Spur. Ihr Charakter ist rauh, wie das Klima, in dem sie wohnen, und die Zerstreutheit ihrer Wohnplätze, die Entfernung von Bezirks- und Ortsbehörden, von Kirche und Schule, das Wald- und Händlerleben gewöhnt Manche von Jugend auf an eine nicht liebenswürdige Libertinage, die sich gerne dem Gesetz und der Ordnung zu entziehen sucht. Ein Hauptmangel ist bei gar Vielen Verwahrlosung der Kinderzucht und in dessen Folge Mißachtung der Schule, deren Besuch bei Werk- und Sonntagsschülern oft nur durch die ernstlichsten Maßregeln erzwungen werden kann. Der Kirchenbesuch wird Vielen durch die Entfernung vom Mutterort und durch ungünstige Witterung im hier längeren Winter, durch Schneestürme und Schneewehen erschwert, von Anderen als willkommene Gelegenheit zum Wirthshausbesuche im Mutterorte angesehen. Jüngere, besonders ledige Leute, hat vor einiger Zeit weniger das religiöse Bedürfniß, als Libertinismus und Neugierde zum Besuche benachbarter Baptistenversammlungen veranlaßt.

Die Haupterwerbsquellen der Einwohner sind Feldbau, Viehzucht und bei einem sehr großen Theile Waldarbeiten, Holzmachen, Holzführen, Besen- und Schindelnmachen, Handelschaft damit in die weite Umgegend, besonders nach Heilbronn und Hall, Silbersandhandel etc. Zur Zeit der früher einfallenden Rheinerndte wandern ganze Caravanen jüngerer Leute beiderlei Geschlechtes dahin mit Sichel und Dreschflegel, um sich dort etwas mit Taglohnarbeit zu verdienen, wobei übrigens der Geldbeutel mehr als die Sittlichkeit gewinnt. Von den Vermöglicheren besitzt der Begütertste 120 bis 130 Morgen, die Mittelklasse 20–30 Morgen, der Geringste 3–4 Morgen. Sehr Viele, welche zu den oben genannten Erwerbsquellen greifen, sind ganz unbemittelt, besonders in Stangenbach, Hals, Hasenhof, Weihenbronn. Ganz alte, arbeitsunfähige Leute werden auf öffentliche Kosten unterstützt. Durch die letzten Nothjahre ist die Gemeinde so herabgekommen, daß sie im Jahr 1856 unter unmittelbare Staatsfürsorge genommen und ein Staatsschultheiß aufgestellt wurde. Seit der Wiederkehr der besseren Jahre hat sich ihr Zustand bereits wieder bedeutend gehoben.

Empfohlene Zitierweise:
F. L. I. Dillenius: Beschreibung des Oberamts Weinsberg. Karl Aue, Stuttgart 1861, Seite 409. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OAWeinsberg_409.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)