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wo der Ackerbau vorherrscht, nähert sich der Volkscharakter dem angrenzenden Hohenloh’schen in Lebensweise, Sitte, Tracht und Sprache. Man könnte ihn geschliffener nennen. An Sinn für Religiosität fehlt es hier nicht. In Brettach ist er aber seit ungefähr 9 Jahren in förmlichen Separatismus ausgeartet, indem es eingeschlichenen Baptisten gelungen ist, gegen 70–80 Personen beiderlei Geschlechtes für ihre Secte zu gewinnen und der Kirche nicht nur zu entfremden, sondern feindlich gegenüber zu stellen.

In den höher gelegenen Gegenden ist der Volkscharakter im Allgemeinen rauh, wie das Gebirge, das sie bewohnen. In vielen einzelnen Weilern und Höfen zerstreut, von ihrer eigenen Obrigkeit, von Kirche und Schule und noch viel mehr von den Bezirksbehörden weit entfernt, fügen sie sich nur sehr ungerne der gesetzlichen Ordnung. Das Herumziehen so Vieler auf der Handelschaft und – unter dieser Form dem Bettel, – entfremdet sie regelmäßiger, anstrengender Arbeit und gewöhnt sie oft von Jugend auf an müßiges Wirthshausliegen, wo sie den letzten erlösten Pfenning vergeuden, statt ihn für Weib und Kind heimzutragen. Selbst die Kinder werden häufig auf diese Wanderungen mitgenommen, versäumen darüber die Schule und gewöhnen sich an Müßiggang und Bettel mit allen ihren verderblichen Folgen. Betteln heißt ihnen „Fordern“, wie Holzstehlen „Holzholen“.

Der bessere Kern der Wohlhabenderen und Ordnungsliebenden leidet selbst Manches von diesem Proletariat und vermag der Strömung keinen Einhalt zu thun. Darum war die Stellung mehrerer hiesiger Gemeinden unter unmittelbare Staatsaufsicht und die Aufstellung tüchtiger Ortsvorsteher in Maienfels, Neuhütten, Finsterroth, Wüstenroth, Neulautern, Ober- und Unterheimbach, eine von den Verhältnissen gebotene Maßregel, welche schon in den ersten Jahren, zusammentreffend mit dem Aufhören der Theurungsnoth, gute Früchte getragen hat. Zu Hebung der sittlichen und kirchlichen, sowie der Schulzustände wurden die allzugroßen Parochieen verkleinert und eigene Pfarrverwesereien in Neuhütten, Finsterroth und Neulautern gebildet, um eine speziellere Seelsorge und Schulaufsicht zu ermöglichen und den zerstreut und von einander entfernt Wohnenden den Besuch der Gottesdienste zu erleichtern. In Finsterroth wurde zu diesem Behufe auf Staatskosten das bisherige Interimslocal, die Schule, zu einem Betsaale umgebaut. In Neuhütten will der Staat eine Kirche bauen, statt des bisher dazu gemietheten früheren Tanzsaales. In Neu-Lautern wird bis jetzt die Schule dazu genützt. Neben dem religiösen Indifferentismus, welcher hier bei gar

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F. L. I. Dillenius: Beschreibung des Oberamts Weinsberg. Karl Aue, Stuttgart 1861, Seite 052. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OAWeinsberg_052.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)