Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

der griechischen Sprache Aufnahme finden konnte, weil er in seiner Evangelienharmonie einige kritische Fragen angeregt hatte und deshalb den Tübinger Theologen als gefährlicher Neuerer erschien. Dagegen gelang es einem andern jungen Professor der Theologie, Christoph Matthäus Pfaff, der auf mehrjährigen Reisen in England, Frankreich und Italien eine freiere Weltanschauung gewonnen hatte, seinen Kollegen durch Wissenschaft, Weltbildung und ein vortheilhaftes Äußere so zu imponiren, daß man ihn schon in seinem 34. Jahre zum Kanzler der Universität machte und seine Opposition gegen den Buchstabendienst der Orthodoxie sich gefallen ließ. Seine freieren Ansichten machten ihn für die Anregungen des Spenerischen Pietismus zugänglich, ohne daß er jedoch dessen ascetischer Richtung sich anschloß. Seine kirchlichen Bestrebungen waren auf Einigung der Reformirten und Lutheraner gerichtet, auch suchte er durch seine Begründung des Kollegialsystems die sociale Selbstständigkeit der Kirche zu wahren. Auf Milderung der Orthodoxie wirkte auch ein anderer gleichzeitiger Lehrer der Theologie in Tübingen hin, C. Ch. Weismann, 1721–1747, der die Spenerische Richtung mit der kirchlichen Rechtgläubigkeit zu vermitteln suchte, und durch ein günstiges Gutachten über die evangelische Grundlage der Zinzendorf’schen Brüdergemeinde dieser großen Vorschub leistete. Überhaupt beginnt seit Mitte des achtzehnten Jahrhunderts jene pietistische Färbung der württembergischen Theologie, die hauptsächlich durch J. A. Bengel, Oetinger, Steinhofer, Roos vertreten wird.

Neben der Pflege der Theologie macht sich in Tübingen während des achtzehnten Jahrhunderts auch ein regeres Leben in der Medicin und den Naturwissenschaften bemerklich. Elias Rud. Cammerer, der von 1663 bis 1695 in Tübingen lehrte, trat dem Schlendrian der aus Hippokrates und Galen entnommenen Theorieen entgegen und drang auf genaue Beobachtung der einzelnen Krankheitsfälle, Untersuchung der physischen Eigenthümlichkeiten des Kranken, und das Studium der pathologischen Anatomie. Sein Sohn Rudolph Jakob, ein Botaniker, der von 1688–1721 in Tübingen lehrte, war durch Begründung der Lehre von der Geschlechtlichkeit der Pflanzen ein Vorläufer Linné’s und brachte überhaupt das Studium der Botanik in Aufnahme; unter seiner Leitung wurde auch der erste botanische Garten angelegt. Sein Kollege Johannes Zeller, ein geschickter Praktiker und zugleich herzoglicher Leibarzt, setzte die Einrichtung eines anatomischen Hörsaals und eines chemischen Laboratoriums durch; ein besonderer Professor der Chemie, Alexander Cammerer, der in Turin seine Studien gemacht hatte, wurde

Empfohlene Zitierweise:
Karl Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Tübingen. H. Lindemann, Stuttgart 1867, Seite 287. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OATuebingen_287.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)