Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Eierlese, aber bloß in wenigen Gemeinden und selbst hier nicht jedes Jahr, und der Himmelfahrtstag hat noch da und dort seinen Frühgang, um die Sonne ihre 3 Sprünge vor dem Aufgang machen zu sehen und – Mausöhrchen zu pflücken. Bedeutungsvoller ist der Gebrauch dieses Tages in Gönningen. Hier wird der Roßberg bestiegen und die sich erhebende Göttin des Lichtes mit einem Choral begrüßt. Am Stephanstag wird da und dort mit Peitschen geknallt, wenn der Knecht wandert oder mit Kübelklopfen ein Höllenlärm verführt, wenn die Magd wandert.

Am 2ten Weihnachtsfeiertag (Johanni) führen in Gönningen die Väter ihre Söhne in’s Wirthshaus, um sie hier reichlich zu regaliren. Wer vermöchte in diesem Gebrauche, sowie in der Begrüßung der aufgehenden Sonne auf dem Roßberg den vorchristlichen Anklang zu verkennen?

Daß endlich den Winter hindurch auch hier die Lichtstuben, diese Spinnanstalt der Dorfintrike und der Geistergeschichten, im Flor stehen, braucht kaum erwähnt zu werden.

Die Volkstracht, überall im Schwinden begriffen oder in Mesalliance mit der Mode geschmacklose Bastarde erzeugend, hat sich nur auf den „Härdtern“ fest behauptet.

Während die älteren Frauen noch die schwarze Taffethaube mit den das Gesicht fast verhüllenden Spitzen tragen, gehen die Mädchen und jüngeren Frauen im kleidsamen, schnippischen Deckelhäubchen (Dächleshaube, auch Kugelhaube genannt), welches im Gegensatz zum lilafarbigen Bezinger Häubchen ausnahmslos schwarz ist und von breiten schwarzen Bändern flankirt wird. Allen gemein ist der kurze, kaum über das Knie reichende, königsblaue oder dunkelfarbige Rock, den ein schwarzes Sammtband oder eine breite Goldborte umsäumt, ebenso der schwarztaffente Oberleib, welcher über das rothe Mieder getragen wird. Den Fuß bekleiden schneeweiße Strümpfe mit rothen Strumpfbändern, welche in Mähringen Namen und Jahreszahl, also ein vollständiges Signalement enthalten, und kleine möglichst ausgeschnittene Schuhe. Diesen schmucken Anzug vollendet ein Noster mit vergoldetem Thaler.

Auch die männliche Tracht hat einiges Eigenthümliche. Sonntags trägt der Erwachsene seinen Dreispitz, einen blauen Tuchrock, Lederhosen mit langen Stiefeln, eine Manchester- oder Scharlachweste mit Kugelknöpfen. Außerhalb der Kirche trägt er einen schneeweißen Kittel und eine Pelzkappe, an deren Stelle Werktags der leinene Schmutzkittel und die Schmeerkappe tritt.

Empfohlene Zitierweise:
Karl Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Tübingen. H. Lindemann, Stuttgart 1867, Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OATuebingen_119.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)