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Unter den endemischen Krankheiten ist der Cretinismus, welcher früher allerdings weit mehr in die Erscheinung getreten war, neuerdings, d. h. seit zwei Jahrzehenten, in erfreulicher, dem Verschwinden sich nähernder Rückbildung begriffen und macht sich nur noch in zwei Gemeinden, in der Oberamtsstadt und in Kusterdingen bemerklich, dort in rudimentären Formen, hier im äußeren Typus mehrerer Familien, ohne jedoch von ausgebildeteren Graden physischer Entartung begleitet zu sein.

Dagegen leiden vier Gemeinden, welche in Gestalt eines verschobenen Vierecks die Blaulache umstehen, am Wechselfieber: Pfrondorf im N., Kusterdingen im S., Lustnau im W., Kirchentellinsfurth im O., wovon drei zwischen 1300 und 1500′ Meereshöhe haben, während Lustnau in der Thalsohle der Ammer und des Neckars liegt. Der weitaus vorherrschende Fiebertypus ist der andertägige (tertiana) nur bei Kindern ist der Eintagstypus der häufigere. Die Quartana dagegen kommt nicht vor, wohl aber die Tertiana Duplex. Aber das epidemische Auftreten dieses Sumpffiebers ist großen Schwankungen, welche allem Anschein nach von größeren Witterungsphasen abhängen, unterworfen. Nachdem es 18–20 Jahre nicht mehr erschienen war, dann aber 5 Jahre lang sporadisirt hatte, trat es im Jahre 1836 epidemisch auf und dauerte bis zum Jahr 1844, von welchem Zeitpunkt an es nur noch sporadisch auftrat. Erst im Jahr 1854 zeigte es sich wieder in größerer Verbreitung, um im Jahr 1856 zu einer großen Epidemie anzuschwellen, welche bis zum Jahr 1860 anhielt. – Aber selbst als Epidemie ist das Fieber nur vier Monate lang (April bis Juli) activ, die übrige Jahreszeit hindurch latent. Ziemlich entsprechend ist das Verhalten beim individuellen Krankheitsprozeß, insbesondere bei der Tertiana, wo seine Dauer auf 12 Stunden, seine Intermission auf 36 Stunden anzuschlagen ist. Es zeigt sich also bei dieser Malaria unsres Bezirks ein dreifacher Cyklus, ein Jahrescyklus, welcher als ein durchschnittlich decennialer bezeichnet werden kann, ein Monatscyklus der einzelnen Epidemie und ein Stundencyklus im individuellen Krankheitsprozeß. Beim ersteren verhält sich Activität zur Latenz etwa = 1:2, beim zweiten = 1:3, beim dritten = 1:4.

Unmittelbar tödtlich ist dieses Sumpffieber wohl noch nie geworden. Daß es aber durch organische Folgeübel mittelbar auf Sterblichkeit steigernd einwirkt, ergibt sich mit arithmetischer Gewißheit daraus, daß das Sterblichkeitsverhältniß der beiden höchsten Altersklassen (46–70 und über 70) in den vier Fieberorten, dem der

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Karl Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Tübingen. H. Lindemann, Stuttgart 1867, Seite 112. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OATuebingen_112.png&oldid=- (Version vom 23.1.2021)