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jüngeren Damen liest und spricht Französisch und Englisch): die eigentliche Gelehrsamkeit ist selten mit Einseitigkeit oder Selbstüberschätzung verbunden. Der den Schwaben überhaupt eigene Mangel an Redefertigkeit und Gewandtheit im Umgang verursacht aber nicht selten, daß sein Wissen verkannt wird. Ein Norddeutscher hat die Bemerkung gemacht, daß es trotz ihres großen Reichthums an Gemüth und Verstand lange dauere, bis sie warm werden und diese aufschließen, und da sie auch eine geringe Fertigkeit im Sprechen haben, so verschwinde der ungünstige Eindruck auf den Oberflächlichen erst bei näherer Bekanntschaft. (Morgenblatt 1847 S. 539.)

Hervorzuheben ist die große Neigung zur Association für Erreichung gemeinschaftlicher Zwecke. Indessen vor 20–25 Jahren die Zahl der Vereine aller Art etwa 30 betragen hat, ist dieselbe jetzt auf mehr als 200 gestiegen, welche, wie diese Schrift zeigen wird, die Förderung sowohl der Geselligkeit, der Wissenschaft, der Kunst und Industrie, als der Religiosität, Moralität, Sparsamkeit, Kranken- und Armen-Pflege zum Zweck haben[1]. Es ist nur zu wünschen, daß auch der Hilflosigkeit der kleinen Handwerker etc. durch Errichtung von Speiseanstalten oder Vereinen zu Anschaffung von Nahrungsmitteln, zu Rohstoffen, zu Darlehen und Vorschüssen, zu Beschaffung wohlfeiler Wohnungen und zu gemeinschaftlichem Geschäftsbetrieb und Verkauf durch Betheiligung der Wohlhabenden, deren Capitalien nach anderweitigen Erfahrungen gut rentiren würden, gesteuert werde.

Mit der intellectuellen Bildung hielt die sittliche Schritt. So lange man die Gesetze mit Blut geschrieben (s. unten die Beschreibung des neuen Baues), waren auch die Sitten so roh, daß es sogar Hofangehörige waren, über welche 1514 und 1618 der Magistrat bei dem Landtage klagte, daß sie an den Bürgern Tag und Nacht mit Fenstereinwerfen, Raufen und Verwunden etc. ihren Hochmuth üben. Noch 1678 kamen fast allnächtlich Beraubungen und Verwundungen, namentlich durch Soldaten und Herrendiener, und Schlägereien unter den jungen Leuten auf den Straßen der Stadt vor, und die Vorsicht gebot, während des Gottesdienstes die Stadtthore zu schließen und Niemand ohne brennendes Licht Nachts auf der Straße zu dulden. Schon längst aber gehören Ausbrüche solcher Rohheiten und noch mehr grobe Verbrechen zu den Seltenheiten. Der Zunahme der unehelichen Geburten ungeachtet scheint sich die öffentliche Sittlichkeit wenigstens nicht verschlimmert zu haben,


  1. Ein jedoch nicht vollständiger Wegweiser zu den in den Bereich der inneren Mission gehörenden Vereinen etc. erschien 1850. Stuttg. 8.
Empfohlene Zitierweise:
Rudolph Moser: Beschreibung des Stadtdirections-Bezirkes Stuttgart. Eduard Hallberger, Stuttgart 1856, Seite 91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OAStuttgartStadt0091.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)