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gegen Norden eine spitzbogige Pforte, gegen Süden eine mit geradem Kleeblattsturz, und an der Südostecke erhebt sich ein rechteckiges Thürmchen mit einer auf den Dachboden des Paradieses führenden Wendeltreppe; seinen Giebel schmückt ein sehr schönes und großes durchbrochenes Steinkreuz, auch in spätromanischen Formen gehalten.

Innen wird die Halle von drei Rippenkreuzgewölben überspannt, deren kraftvolle Rippen von sehr reichen Säulenbündeln ausgehen, und deren Kreuzrippen viel tiefer herabreichen, d. h. auf viel kürzeren Säulen beginnen, was dem ganzen Gewölb eine große Kühnheit verleiht. Die drei Schlußsteine der durchaus im Halbkreis geführten Bögen (weßhalb auch die Kreuzrippen so weit herabreichen) zeigen reiche, tief unterschaffte Blätterkränze, ganz ähnlich denen außen am Portal. An Rippen und Kappen sind noch Spuren von Bemalung im spätesten gothischen Stil, mit dem schon Renaissanceformen sich mischen, so erblickt man noch jetzt eine nereidenartige Gestalt; es war auch das Jahr dieser Ausmalung angeschrieben: In laudem Summi Regis Triumphatoris MDXXII. Dann sah man hier (nach Tob. Wagner evangel. Censur der Besold’schen Motiven, S. 652) eine Gans gemalt, an welcher „eine Flasche, Bratwürste, Bratspieß etc. hingen, neben einer zur nassen Andacht gar wohl komponirten Fuga, folgenden Tenors, mit ihrem unterlegten Text, gleichwol nur den initialibus litteris“: A. V. K. L. W. H. (d. h. All Voll. Keiner Leer. Wein Her.).

Die große Zahl der an dieser herrlichen Halle verwandten Säulen, es sind ihrer 74, beweist schon die Fülle des baulichen Lebens, das hier glänzend aber durchaus maßvoll sich ausbreitet, imgleichen die Bildung der Fensterarkaden und Gewölberippen, und wie geben diese flüssigen und fleischigen Formen einen Gegensatz zu den harten, stumpfen, beinahe steifen Formen der drei großen aus der Gründungszeit des Klosters stammenden Rundbogenportale, die vom Paradies in die Kirche führen. Ein Zeitabschnitt von 60–70 Jahren, und wie sehr hat sich die Baukunst umgestaltet, entfesselt möchte man sagen: aus den breiten, platt an die Wand gedrückten und damit verwachsenen Wulsten sind frei vor die Wand gestellte rohrschlanke Rundsäulen geworden, aus den schweren Gewölbrippen rechteckigen Querschnitts wurden halbrunde Wulste, in die zu Seiten tiefschattige Kehlen eingerissen sind und deren Scheitel durch einen zarten Steg wirksam markirt wird. Am augenscheinlichsten ist der Unterschied an den Säulenkapitellen, statt ganz in sich geschlossener Würfelknäufe, die bescheiden mit Linien oder arabeskenhaftem Blatte belebt sind, erscheinen hohe Kelchkapitelle, an denen rundausgezackte sehr schwungvolle Blätter keck und vielfach hinaustreten; ferner die Füße der Säulen: früher die attische Basis mit steilen Rundstäben und Kehlen zwischen schweren Plättchen, an den späteren, an denen des Paradieses,

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Karl Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Maulbronn. H. Lindemann, Stuttgart 1870, Seite 133. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OAMaulbronn0133.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)