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ist. Einfachheit in der Lebensweise bildet die Regel, ab und zu ist Manchem ein Tag, welcher reichlicheren Genuß bringt, willkommen. Im Geschäft rührige, anstellige und gefällige Leute sind häufig anzutreffen; erregbare Gemüther, welche zugleich der Gefühlsstimmung lebhaften Ausdruck geben, öfter als zugeknöpfte Naturen. Ein scharfkantiges Wesen wird durch die dem Verkehr offen liegende Landschaft nicht begünstigt. Daß jeder größere Volkstheil auch in sittlicher Hinsicht krankhafte Erscheinungen aufzuweisen hat, und jeder eine Anzahl von verfehlten Existenzen in sich schließt, für diese ausnahmslose Erfahrung kann auch wer sich in unsrem Bezirk umsieht unschwer Belege finden. Namentlich Leichtsinn und Genußsucht richten im Einzelnen nicht selten Schaden an. Aber das Vorwiegen der gesunden Elemente dürfte die Annahme rechtfertigen, daß mit dem Wachsen des materiellen Gedeihens die sittlichen Lebensmächte bei den Bezirksangehörigen im Ganzen an Geltung nichts nur nichts verlieren, sondern ihren veredelnden Einfluß auf Grund der natürlichen Anlagen in steigendem Maß bewähren werden.

An kirchlichem Sinn fehlt es nicht, auch nicht an Bethätigung desselben in Werken christlicher Liebe. Für Sektirerei ist der Bezirk gegenwärtig im Vergleich mit manchen andern Gegenden Schwabens kein sonderlich empfänglicher Boden. Methodistensendlinge haben sich da und dort einigen Anhang zu verschaffen gewußt, im Ganzen scheint ihre Weise unsrer Bevölkerung fremd zu bleiben. Gegen Ende des vorigen und am Anfang dieses Jahrhunderts hat die Separatisten-Bewegung, an deren Spitze der Bauer Rapp aus Iptingen stand, Viele aus der Gegend in ihre schwärmerische Bahn gezogen. Sie lief bekanntlich in die Gründung einer Kolonie Eheloser mit Gütergemeinschaft in Amerika aus. Am religiös sittlichen Leben der Bewohner des Bezirks lassen sich Nachwirkungen des unter der Führung eines willenskräftigen Originals unternommenen Sturmlaufs jener nach handgreiflichen Wundern begierigen Mystik nicht mehr erkennen.

Kirchen und Rathhäuser, welche in den letzten Jahren in einigen Gemeinden des Oberamts theils neu errichtet wurden, theils mehr oder weniger belangreiche Verbesserungen erfahren haben, bekunden, daß Sinn für das Schöne vorhanden ist, und daß die Mittel, welche für würdige und stilgemäße Herstellung solcher Bauten zur Verwendung kommen, nicht unter die unfruchtbaren Ausgaben gerechnet werden. An und in den Wohngebäuden darf dem Schönheitssinn immerhin noch da und dort mancher Sieg über die Formlosigkeit und ihr Gefolge gelingen, ehe die Linie erreicht wird, jenseits welcher ein zu den Verhältnissen der Bewohner nicht passender Luxus anfangen würde. An ältern Gebäuden nicht allein in Maulbronn, sondern auch in den Landorten läßt sich der in frühern Zeiten mehr ausgebildete Sinn für architektonische Schönheit und der Einfluß, den in

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Karl Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Maulbronn. H. Lindemann, Stuttgart 1870, Seite 74. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OAMaulbronn0074.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)