Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

sich in etwa 10 Orten, aber in ganz geringer Anzahl. Wenn man, mit Griesinger (Pathol. und Therap. der psych. Krankheiten 1861) unter Kretinen nicht blos Blödsinnige (idiotische) Menschen versteht, was ein zu allgemeiner, darum vager Begriff ist, sondern solche, wo die Hemmung der psychischen Entwicklung mit einer erheblichen körperlichen Mißgestaltung, besonders des Schädels verbunden ist, so steht fest, daß der Bezirk Maulbronn bei weitem nicht mehr so viel kretinische Menschen zählt, als die früheren Zählungen, namentlich die von Dr. Rösch im Jahre 1844, angenommen haben. Während damals 95 Kretins (an Blödsinn und Stumpfsinn Leidende) aufgezeichnet worden sind, außerdem aber noch eine Anzahl von Halbkretins, Taubstummen etc., lassen sich jetzt höchstens 48–50 wirklich kretinische Personen, meist schon bei Jahren, nachweisen, nämlich 1) wirkliche Kretins: in Derdingen (9–10), in Enzberg (5–6), in Knittlingen (9–10), in Ötisheim (5–6), in Schützingen (9–10); 2) dem Kretinismus sich nähernde Menschen, in Freudenstein, Lomersheim, Sternenfels und Zaisersweiher, im Ganzen höchstens 6–8. Im Ort Maulbronn sind dermalen keine Kretins, dagegen einige Taubstumme, in der geistigen und körperlichen Entwicklung verkürzte Menschen, und einzelne mit Kropf behaftet.

In Ötisheim und Knittlingen, wo die Zahl der Kretinen am wenigsten in Abnahme zu sein scheint, sind diejenigen Momente, welchen mit Ausnahme von Terrain- und klimatischen Verhältnissen die Erzeugung, beziehungsweise Fortpflanzung des Kretinismus vorzugsweise zugeschrieben wird, nämlich stehende Wasser, versumpfte Stellen in der Nähe des Orts, enge Straßen, ärmliche (d. h. kleine, niedere, enge, feuchte, dunkle) Wohnungen und mangelhafte Ernährung mit ihren mannigfachen Einflüssen auf Erziehung und Entwickelung des Geistes und Körpers, noch immer ziemlich einheimisch. Auch Schüzingen hat noch eine nicht gar kleine Anzahl kretinischer, taubstummer und mit Kropf behafteter Personen; hier ist außer den geringen Wohnungen und der mehr sparsamen als geradezu mangelhaften Ernährung und Lebensweise gewiß auch der Lage und Bauart des Orts, welcher mit Ausnahme der kleinen „Vorstadt“ aus Einer langen, westöstlich sich hinziehenden Straße besteht, deren gegen Norden stehende Häuser nach Süden an einen ganz nahen Bergvorsprung (Anhöhe) stoßen oder unmittelbar angebaut und dadurch kalt und feucht sind, ein Antheil an dem endemischen Vorkommen des Kropfs und des Kretinismus zuzuschreiben. – Die Ursachen des letztern in dem weitgebauten Derdingen sind noch nicht hinreichend aufgedeckt.

Hieran schließen sich die Geisteskrankheiten und die Krankheiten der Nervencentra überhaupt, welche, namentlich erstere, im Bezirk keine Seltenheit, doch auch nicht unverhältnißmäßig stark verbreitet

Empfohlene Zitierweise:
Karl Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Maulbronn. H. Lindemann, Stuttgart 1870, Seite 67. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OAMaulbronn0067.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)