Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

ihnen ein lobenswerther religiöser Sinn zu bemerken, mit dem übrigens in mehreren Orten eine Hinneigung zum Sektenwesen sich verbindet. Einige Thalorte machen sich durch den unter den Einwohnern herrschenden heitern, aufgeweckten Sinn bemerklich. Im Allgemeinen mit guten Geistesfähigkeiten ausgerüstet, erweisen sich die Bewohner des Bezirks empfänglich für die Fortschritte der Zeit, insbesondere für Verbesserungen im Gewerbswesen und in der Landwirthschaft. Ihre Sitten und Gebräuche stimmen mit den in den übrigen ältern Landestheilen herrschenden so überein, daß über diesen Gegenstand kaum etwas zu bemerken ist, was nicht eben so gut von vielen andern Bezirken des Königreichs gelten würde. Nur eines eigenthümlichen im Zeller Stabe einheimischen Gebrauches muß Erwähnung geschehen. Wenn nämlich hier ein Zank unter Eheleuten mit Thätlichkeiten endet und die Sache ruchbar wird, so versammelt sich Nachts in der Nähe des Hauses derselben eine Anzahl Bauernbursche, die, wenn sie ungestört bleiben, während etwa einer Viertelstunde mit Geißeln, welche mit guten Treibschnüren versehen sind, ein Konzert aufführen, dessen Mißtöne weithin sich vernehmen lassen. Die öfters eintretenden Pausen füllt einer der Bauernbursche aus, indem er in einen irdenen Topf unter kräftiger Anstrengung seiner Lungen hineinstöhnt, um neben dem durch das Geißeln der Peitschen repräsentirten Verhalten des Mannes auch dasjenige der Frau dramatisch darzustellen. Setzt der auf diese Weise gekränkte Ehemann sich gegen den ihm angethanen Schimpf mit Drohungen und Scheltworten zur Wehre, so kümmern sich die Bauernbursche nicht darum. Kommt es demselben aber in den Sinn, zum Prügel zu greifen und ihnen so zu Leib zu rücken, so ziehen sie sich, um Unannehmlichkeiten und Feindschaften zu vermeiden, so schnell als möglich zurück. Dieses heimliche Gericht soll, wie sich wohl denken läßt, nicht ohne wohlthätigen Einfluß auf die ehelichen Verhältnisse der Einwohner der betreffenden Ortschaften seyn.

Empfohlene Zitierweise:
Rudolph Friedrich von Moser: Beschreibung des Oberamts Kirchheim. Verlag der J. G. Cotta’schen Buchhandlung, Stuttgart und Tübingen 1842, Seite 047. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OAKirchheim_047.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)