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Wir sind von allen Windgegenden her in der Stadt, in Gaildorf, dem völkerwimmelnden, eingerückt. Metzgerbursche mit sehr starken, sehr krausen und sehr starren Locken, denen gegenüber auf der andern Seite des Kopfes die herausfordernde Kappe ein Ohr ganz bedeckt; bestäubte Müllerbursche mit goldenen oder silbernen Ohrringen, ditto Bäckergesellen, sämmtlich pfeifend, die Schürze kühn zurückgeschlagen; behende Frauen- und schmucke Mädchen-Gestalten, den Kopf, von dessen spitzen Häubchen lange und breite Bänder unternehmend flattern, etwas zurückgeworfen, die Taille von blanker Schürze umschlossen; Bürger mit halb nachdenkenden, halb des Lebens Last leicht nehmenden Mienen, in Überröcken und runden Hüten, gekreuzt von Paletots und grimmigen Bärten, oder auch von Costümen, die der Kammerdiener- und der Zofen-Raçe anzugehören scheinen, kurz Alles verräth, daß wir in der Residenz, der vielgliedrigen, angekommen sind.

In der That, es muß noch ein Menschenalter darüber gehen, ehe der vielgestaltige Charakter, den die vielen Territorien und Herrschaften, in die das Oberamt Gaildorf getheilt war, demselben aufgedrückt haben, verwischt wird. Früher dem geselligen Leben der verschiedenen Beamten und Officianten sehr nachtheilig, erstreckte sich die dießfällige Zerklüftung bis in die untersten Schichten hinab. Es galt als Ehrensache ein Pückler, ein Waldeck, ein Wurmbrand und ein Ysenburg zu heißen, und man mußte sein Ansehen gegenüber dem Andern und auf dessen Kosten geltend machen, was viel Neid, Eifersucht, Chikanen und offene Fehden erzeugte. Mit den Württembergern, als, so zu sagen, Eindringlingen, lebte man ohnehin im Krieg. So war die Stadt eine Aristokraten- und Bedienten-Stadt, voll Hofdunst und Aufgeblasenheit, aber auch voll Kriecherei, Intrigue und Kleinlichkeit. Dieß ist nun zwar durch die Länge der Zeit, durch das verständige und würdige Benehmen mancher Beamten, und letztlich durch die politischen Orkane, die hier aus nahe liegenden Gründen stärker als anderswo gebraust haben, um Vieles Anders geworden. Aber die Nachwirkungen davon werden sich in Partheisucht und selbstgenügsamem, Andere leicht verletzendem, Wesen noch lange fühlbar machen.

Sonst ist der Gaildorfer gutmüthig, verständig, wortreich, schlau, leicht erregbar, lebensfroh, und theilt mit seinem Nachbar, dem Haller, die Liebe zum Genuß und den Hang zur Sorglosigkeit. Die Religiosität und das kirchliche Leben sind in den oberen Bezirken strenger und ernster, im mittlern und untern leichter und oberflächlicher, und ein Gaildorfer ließe sich nicht gerne sagen, daß er etwas anderes als ein Mann der Aufklärung sey. Bei allem dem spielt der Aberglaube, besonders im Wald- und Hirten-Gebiet, eine große Rolle, und während der langen Winternächte in den Lichtstuben, beim Kienspan, spuckt es gewaltig von Hexen und Gespenstern, da auch noch die gesellige Schnapsflasche die mystische Stimmung der Geister vermehrt, und

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Rudolph Friedrich von Moser: Beschreibung des Oberamts Gaildorf. J. B. Müller’s Verlagshandlung, Stuttgart 1852, Seite 042. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OAGaildorf_042.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)